
Eine Saison zwischen Zittern und Jubeln
Wenn Sean Caldwell heute über die abgelaufene Saison spricht, ist in seiner Stimme Stolz, aber auch Erschöpfung zu hören. Kein Wunder – hinter ihm und dem FC Kitzbühel liegt eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
Caldwell kam im Oktober – zu einem Zeitpunkt, an dem der Verein bereits in der sportlichen Krise steckte. Der Trainerwechsel kam für Fans und Spieler dennoch überraschend „Der Anruf kam genau an meinem Geburtstag“, erzählt der gebürtige Engländer. „Sie wollten, dass ich sofort übernehme. Viel Zeit zum Überlegen blieb da nicht. Aber ich kannte den Verein schon von früher und wusste, dass ich auf den Rückhalt aller zählen kann.“
„Der Anruf kam genau an meinem Geburtstag. Sie wollten, dass ich sofort übernehme. Viel Zeit zum Überlegen blieb da nicht."
Sean Caldwell, Trainer Kitzbühel
Die Entscheidung war mutig, denn zu diesem Zeitpunkt glaubte so gut wie niemand mehr an den Erfolg der Kitzbüheler. Und es dauerte auch bis zum 9. April, bis das Team den ersten Sieg unter Caldwell einfahren konnte.
80-Stunden-Wochen zwischen Job und Fußball waren keine Seltenheit – auch psychisch eine große Belastung: „Ich hatte viele schlaflose Nächte“, gesteht Caldwell. „Es war sicher die härteste Zeit, die ich im Fußball in meinem Leben erlebt habe.“ Auf der Trainerbank zu sitzen und zuzuschauen, wie die Mannschaft kämpft, aber keine Tore erzielt, war nicht einfach. „Es gab kein einziges Spiel, in dem wir souverän in Führung lagen oder aussichtslos zurück. Meist entschied ein Tor über Sieg oder Niederlage. Die Anspannung und der Druck waren jedes Mal enorm.“

Der ewige Kampf um wichtige Punkte
Das größte Problem: die Chancenauswertung. „Uns hat einfach ein Goalgetter gefehlt. Wir hatten viele Chancen – laut Statistik die fünftmeisten der ganzen Liga – aber wir haben sie nicht verwertet, während die Gegner meist effektiver agiert haben“, so Caldwell. Tiefpunkt war Mitte Mai die Niederlage gegen Tabellenschlusslicht Röthis. „Das war die härteste Lektion, die die Spieler lernen mussten. Die vier Stunden Fahrt im Bus von Vorarlberg nach Hause waren kaum zu ertragen.“
Nur mehr wenige glaubten da noch daran, dass Kitzbühel den Klassenerhalt schaffen könnte. Kitzbühel rutschte auf den letzten Tabellenplatz ab. „Wir haben dann versucht, unser System umzustellen. Uns mehr auf die Defensive konzentriert und alles gegeben, dass wir kein Tor bekommen. Wenn wir ein Tor gemacht haben, musste das reichen.“
„Das war die härteste Lektion, die die Spieler lernen mussten. Die vier Stunden Fahrt im Bus von Vorarlberg nach Hause waren kaum zu ertragen.“
Sean Caldwell, Trainer Kitzbühel

Kehrtwende gegen Austria Salzburg
Die Kehrtwende dann das Spiel gegen Meister Austria Salzburg vor mehreren hundert Zuschauern im Stadion. „Das war eigentlich optimal. Gegen Salzburg hatten wir nichts zu verlieren, konnten locker und ohne Druck aufspielen. Und plötzlich war die Leistung wieder da. Das Selbstvertrauen, das wir uns da geholt haben, hat uns in den kommenden Spielen beflügelt.“
Der emotionale Höhepunkt: der Auswärtssieg in Kufstein. „Das war unser Finale. Die beste erste Halbzeit der ganzen Saison. Die Stimmung war einfach unbeschreiblich, fast 800 Fans sind mit uns nach Kufstein gereist und haben uns unterstützt – mehr als bei unseren Heimspielen. Wir haben alles gegeben und verdient gewonnen.“ Für das Match hat das Team nach acht Monaten Kampf noch einmal alle Reserven mobilisiert, danach war der Tank leer – das hat man im letzten Match gegen Bischofshofen gemerkt. Für Unruhe sorgte außerdem die Causa Dornbirn.
Junges Team kann Erfahrung sammeln
Caldwell selbst trat Spielern, Fans und den Medien gegenüber immer ehrlich auf, analysierte sachlich, zeigte die Fehler klar auf und war dabei durchaus selbstkritisch: „Ich habe mich oft gefragt, ob ich der Richtige für diesen Job bin. Mein Ziel ist es, professionell zu arbeiten und es ist eines der größten Komplimente für mich, dass die Mannschaft immer alles mitgetragen hat und wir immer einen gemeinsamen Weg gefunden haben. Wir waren bis zum Schluss sicher, dass wir es schaffen können. Gemeinsam haben wir wirklich Tolles geleistet.“
"Wir waren bis zum Schluss sicher, dass wir es schaffen können. Gemeinsam haben wir wirklich Tolles geleistet.“
Seean Caldwell, Trainer Kitzbühel
Mit einer jungen Mannschaft, ohne erfahrene Regionalliga-Spieler, war das keine Selbstverständlichkeit. Umso wertvoller ist die Erfahrung, die das Team nun mitnimmt. „Nächstes Jahr können die Jungs ohne Druck wachsen“, sagt Caldwell. „Wir wollen verstärkt auf heimische Spieler setzen und uns nur an ausgewählten Positionen verstärken.“ Ein Goalgetter steht dabei ganz oben auf der Wunschliste – ein Innenverteidiger ist bereits gefunden: Alessandro Ziege, Sohn des deutschen Ex-Nationalspielers Christian Ziege, kommt vom FC Pinzgau.

Kein Absteiger in der kommenden Saison
Top-Torschütze Steven Bala verlässt den Verein Richtung Dänemark. „Er hat dort einen Profivertrag bekommen. Das schmerzt natürlich, aber ich freue mich für ihn über diese Chance. Und es zeigt, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Wenn sich ein junger Spieler in einer Saison so gut weiterentwickelt, ist schon viel richtig gelaufen.“
Sean Caldwells klares Ziel für die kommende Saison: mit dem Abstieg nichts zu tun haben. Außerdem will man sich wieder für den ÖFB-Cup qualifizieren und im TFV Cup gut abschneiden. „In der kommenden Saison wollen wir wieder zurück zu unseren Stärken finden. Heuer lag der Fokus darauf, den Raum zu kontrollieren, künftig wollen wir wieder mehr den Ball kontrollieren.“
"Heuer lag der Fokus darauf, den Raum zu kontrollieren, künftig wollen wir wieder mehr den Ball kontrollieren.“
Sean Caldwell, Trainer Kitzbühel
Analysten beobachten Spiele und Gegner
Nach einer kurzen Pause startet der FC Kitzbühel bereits am 30. Juli wieder mit dem Training. Und das läuft fast so ab, wie bei Profiteams: „Wir haben vier Trainingseinheiten pro Woche, Physiotherapeuten kümmern sich individuell um die Spieler und wir haben ein eigenes Fitnessstudio, das wir in Kooperation mit dem K.S.C. nutzen können“, erklärt Caldwell. Dazu bekommt jeder seinen eigenen Fitnessplan. „Jeder Spieler muss wissen, was zu tun ist und wie er sich zu verhalten hat. Nur mit der richtigen Einstellung und Mentalität haben wir eine Chance, in der Liga zu bestehen.“ Und das scheint gut zu klappen, denn in der vergangenen Saison hatte der FCK keine einzige Muskelverletzung zu beklagen.

Darüber hinaus kümmern sich drei Videoanalysten darum, alle Spielszenen genauestens zu dokumentieren und zur Verfügung zu stellen. Bereits in der Halbzeit werden einzelne Spielsituationen besprochen. „Zusätzlich bekomme ich vor jedem Match ein 40-seitiges Dokument über unseren Gegner“, erzählt Caldwell und fügt hinzu: „Das Einzige, was bei uns Amateur-Niveau hat, ist das Budget.“
Wie vor Kurzem bekannt wurde, besteht die Regionalliga West in der kommenden Saison aus 17 Teams – weil Dornbirn nun doch in der Liga bleiben darf und auch der Vorletzte, Kufstein, nicht absteigen muss.