
„Wir reden hier von einer Milliarde Euro in fünf Jahren“
Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Freizeitwohnsitze im Bezirk? Zu dieser Frage ließ die Wirtschaftskammer Kitzbühel vor Kurzem mit einer Studie neueste Zahlen erheben. WK-Obmann Hermann Huber und Regio3-GF Stefan Niedermoser sprechen im Interview über Ergebnisse und Erkenntnisse.
Warum hat die Wirtschaftskammer diese Studie in Auftrag gegeben?
Huber: Wir sind in die jetzige Kammer-Funktionsperiode mit einer Klausur gestartet, worin wir definiert haben, dass das Thema Zweitwohnsitze einer der Schwerpunkte der Ausschussarbeit sein wird. Ich bin dann mit der ersten Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der Freizeitwohnsitze aus dem Jahr 2020 in Berührung gekommen und wollte, dass diese Fakten – aktualisiert – in die breite Öffentlichkeit getragen werden.
Wie ist die Stimmungslage in den heimischen Unternehmen in Bezug auf das Thema?
Huber: In diesen wenigen Wochen, in denen ich jetzt Obmann der Wirtschaftskammer sein darf, habe ich doch schon einige Betriebsbesuche machen dürfen. Ich werde bei wirklich jedem Betrieb querbeet vom Gerber über den Elektriker, und dem Zimmermann, bis zum Malermeister darauf angesprochen. Momentan ist nicht nur in den Betrieben, sondern auch bei den Zweitwohnungsbesitzern eine Verunsicherung spürbar. Wenn man aber selber unsicher ist, dann steht man auf der Bremse mit Investitionen, und somit steht man auf der Bremse mit den Perspektiven. Das ist ein Teufelsrad, das sich in Gang setzt.
Was sind die wichtigsten Kennzahlen des Updates im Vergleich zur ersten Erhebung?
Niedermoser: Es sind nochmals fast 400 Arbeitsplätze dazugekommen und es sind 30 Millionen mehr an Steuern und Abgaben dazugekommen. Die Wertschöpfung hat sich im Vergleich zur ersten Studie erhöht.
Das sind schon Effekte, die für uns in der Regionalentwicklung wichtig sind. Es wird oft über die Kosten der Freizeitwohnsitze gesprochen, aber ganz wenig darüber, was uns das bringt. Um eine neutrale Datengrundlage herzustellen, wurde zuerst die Studie und jetzt im Auftrag der Wirtschaftskammer das Update gemacht. Die Interpretation des Ganzen, die Schlussfolgerungen und die Entscheidungen, was damit passiert, sind nicht Aufgabe der Regionalentwicklung, sondern die Aufgabe der Politik.
Zwischen der ersten Studie und dem jetzigen Update hat sich rein gefühlsmäßig die Situation in Sachen Freizeitwohnsitze zugespitzt. Kann man das auch aus den Daten herauslesen?
Huber: Aus der Studie noch nicht, weil wir ja ganz bewusst darin den Immobilienhandel außen vorgelassen haben. Und das, was da jetzt an Auswirkungen – sagen wir im Jahr 2024, 2025 und wahrscheinlich auch 2026 kommen wird, ist deswegen noch nicht drin. Wenn man dann aber die Emotion, die momentan unter den Zweitwohnsitzlern vorherrscht, aufgreifen würde, dann müsste man annehmen, dass sich die Zahlen drastisch nach unten bewegen, wenn der Weg so weitergeht.
Der reine Verkauf einer Immobilie wird in diesem Zusammenhang aber nicht als Wertschöpfung definiert?
Niedermoser: Richtig, es geht um die laufenden Effekte – also wenn jetzt ein Haus repariert oder eingerichtet wird, wenn dann die Personen mit dem Lift fahren, Essen gehen, wenn sie Einkaufen gehen. In der Wertschöpfung ist aber nicht der Einmaleffekt durch Kauf eines Hauses oder Grundstücks bzw. einer Wohnung enthalten.
Heißt das, es lässt sich aus der Studie herauslesen, dass alle Branchen von der Wertschöpfung profitieren?
Huber: Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Die zweite große Kennzahl, die darin enthalten und für mich sehr wichtig ist, das sind die 1.758 Arbeitsplätze, die durch die Freizeitwohnsitze quer über alle Wirtschaftszweige geschaffen werden.
Wenn man sich die größten Arbeitgeber im Bezirk Kitzbühel anschaut und die Mitarbeiterzahl dann in den Vergleich setzt, dann glaube ich, kriegt man ein bisschen ein Gefühl dafür, was das eigentlich bedeutet für die Arbeitsplatzsicherung im Bezirk.
Ganz massiv ist auch diese plakative Zahl der über 192 Millionen Euro zusätzliches Bruttoregionalprodukt für den Bezirk Kitzbühel. Wir reden also von einer knappen Milliarde Euro in fünf Jahren. Das ist eine Größenordnung bei der sich jeder vorstellen kann, was auf dem Spiel steht mit dieser momentanen Verfolgungspolitik. Es steht viel auf dem Spiel und ich wage zu behaupten, es steht ein Teil des Erfolges unserer Region auf dem Spiel.
Wie war damals eigentlich die Resonanz auf die erste Studie zur finanziellen Bedeutung der Freizeitwohnsitze?
Niedermoser: Die Resonanz war zweigeteilt, nachdem es nicht nur ein objektives, sondern auch ein subjektives, um nicht zu sagen emotionales Thema ist. Deshalb hat es beidseitige Rückmeldungen gegeben. Man ist halt in einer gewissen Situation, wo es auch nicht, glaube ich, die eine Lösung gibt, bei der man sagt, wenn wir das tun, dann wird alles anders sein, sondern es wird eines Bündels an Maßnahmen bedürfen. Uns war es einfach wichtig, einen neutralen, objektiven Beitrag zu dem Thema zu leisten – die Studie ist neutral, das müssen wir immer wieder betonen.
Wie wird die Wirtschaftskammer mit diesen neuen Erkenntnissen umgehen?
Huber: Ich glaube ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass man als Land und Region es schafft, zurück zu den Fakten zu gehen und ein bisschen die Emotionen rauszubringen. Deswegen haben wir eine Faktenlage geschaffen, mit der sich jeder auseinandersetzen kann.
Wir haben uns in unserer Ausschussarbeit mit dieser Studie beschäftigt und ich darf ankündigen, dass wir mit Beginn der Wintersaison damit in die Öffentlichkeit gehen, wie die Wirtschaftskammer damit umgehen wird.
Ein Mehrwert von 192,3 Millionen Euro: GAW-Studie zeigt auf, welche Effekte Freizeitwohnsitze in der Region haben.
Wie bereits die erste Untersuchung zu den wirtschaftlichen Effekten der Freizeitwohnsitze wurde auch das aktuelle Update von der GAW – Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung mit Sitz in Innsbruck erstellt. Auftraggeberin ist diesmal die Wirtschaftskammer Kitzbühel. Zugrunde liegen Daten aus dem Jahr 2024. In diesem Jahr konnte laut Studienergebnissen im Bezirk Kitzbühel ein zusätzliches Bruttoregionalprodukt von 192,3 Millionen Euro durch Freizeitwohnsitze erzielt werden. Damit verbunden waren 1.758 Beschäftigungsverhältnisse sowie eine Lohnsumme von 75,1 Millionen Euro. Auf gesamtösterreichischer Ebene belief sich der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt auf 288,4 Millionen Euro und 2.621 Arbeitsplätze.
Der Mehrwert für den Bezirk entsteht durch laufende Nachfrageimpulse sowie durch Steuern und Abgaben. Darunter fallen auch rund 6 Millionen Euro aus Freizeitwohnsitzabgabe bzw.-pauschale.
Von den Ausgaben, die im Zusammenhang mit den Freizeitwohnsitzen stehen, profitieren sämtliche Wirtschaftszweige, wie die Studie zeigt. Besonders stark sind die Effekte im Bau (37,9 Millionen Euro Bruttowertschöpfung), bei Beherbergung und Gastronomie (34 Millionen Euro) sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen (19,3 Millionen Euro). Auch der Handel profitiert mit einer Bruttowertschöpfung von 14,2 Millionen Euro. Basis der Berechnung sind die offiziellen Freizeitwohnsitze – laut Erhebung der Tiroler Landesregierung derzeit 5.711 im Bezirk Kitzbühel.


