Kitzbüheler Anzeiger

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Seite 4 Samstag, 1. August 1953 Arbeit des Glockengießers verlangt in erster Linie 'Unterordnung. Unterord- nung unter die Erfahrungen der Vor- fahren. Unterordnung unter akustische Gesetze und Unterordnung dem gehei- ligten Zweck. Die Arbeit verlangt aber auch Liebe,Liebe zum Handwerk, Lie- he zu e'ntsa.gungsvoilem Schaffen und Liebe zum klingenden Werk. Die Giok- ke ist bin akustisches Instrument, das mit seinen jubelnden, klagenden, mah- nenden Tönen die edelste Form des Er- zes darstellt. Um all die Gesetzmäßig- keit des vollen Akkordes der einzelnen Glocke auszuschöpfen, muß der Meister für jede Glockenform zuerst die „GlOk- henrippf" zeichnen ; alte GIockengie- 1er haben ihre eigene überlieferte Glockenrippe, gebildet, geformt und a- kustisch durchgefeilt 'in vielen Genera- tionen fortbildenden Schaffens, treu be- hütet und Vererbt von Vater auf Sohn durch die Jahrhunderte. Die Rippe stellt den halben Glocken- querschnitt in natürlicher Größe dar, welcher mit einer gesetzmäßigen, Ue- nauigkeit von Bruchteilen eines Milli- meters auf ein starkes .{la.rthnlz.hrett gezeichnet wird. Nach der innenliegen- den Linie wird nun das Brett ausge- schnitten, dem Zeichenriß nach gefeilt und mit starken Eisenhändern an einer, die Mittellinie der Glocke bildenden Welle befestigt. Die „Schablone", wie nun das Formbrett genannt wird, muß in der Glockengrube durch zwei Lager drehbar angeordnet werden. Es beginnt der Bau des ‚.Kernes", welcher der 1 n n e r e n Form der Glocke entspricht.. Aus gebrannten Ziegeln, hohl wie ein Ofen, wird die rohe Form (los Kerns aufgemauert. Ins Innere der Kernform kommen glühende Holzkohlen, die durch dauernde Nachgabe die Fordi von in- nen heraus trocknen. Auf den Ziegel- kern wird nun Lehm aufgetragen und mit der Schablone rundgedreht. Nun wird von der Holzschablone: die „G1ok- kenstärke" abgeschnitten. Nach vor- siehtigeml Glattfeilen dieser Formkante ist die Schablone für die zweite Teil- form; die „falsche Glocke", vorberei- tet. Auf dem Lehinkern wird eine Tren- nungsschichte aus Holzasche aufgetra.- gen und dann mit Hilfe der Schablone neu aufgetragener Lehm formgerecht gedreht. Die Lehmaufgabe wird unter gleichzeitiger fortgesetzter Holzkohlen- feuerung so lange vorgenommen, bis die spätere 'äußere Glockenform in Lehm gestaltet ist. Nach Erkalten der Form wird die Oberfläche mit einer dünnen glatten Schichte von Bienen- wachs überzogen; die Schablone hat nun ausgedient. Auf die wachsüberzoge- ne Lehmglocke kommen nun all die Verzierungen, Heiligenbilder und In- schriften, ebenfalls aus Bienenwachs. Alte schöne Vorbilder und neues Kunst- schaffen begeisterter Bildhauer stehen hinzu bewährten Gießereien zur Ver- fügung. Die „1rone" wird gleichfalls aus Bienenwachs gestaltet. Wir haben nun ein getreues Vorbild der späteren Glocke - aus Wachs! Die dritte Teilform, der .‚ Mantel", beginnt mit sorgfältigem A.ufpinsein feinsten Lehms auf die Wachsform. Nach Antrocknen mehrerer solcher Lehmschichten wird die Heizung von innen wieder vorsichtig aufgenommen. Lehmschichte auf Lehmsc.hichte wird nach Maßgabe des Trockenfortschrit- tes aufgetragen, bis die Gesamtstarke des Mantels das errechnete Maß er- reicht. Nun muß die Mantelform mit Eisenringen und Tragebaken .armiert werden, die aufgesetzte Kionenform wird mit den .‚Windpfeifen" und dem „Becher" (verlorenen Kopf) versehen - damit ist der Bau der Form voll- endet. Der Trockenvorgang wird nun so weit gesteigert, daß die ganze Ftorm ge- brannt wird; hiebei schmilzt und brennt das Wachs restlos heraus. Nach Erkal- tung der Form beginnen die Vorberei- tungen zum Guß. Es gilt, zuerst die Teilformen zu trennen. An den eilig--- bauten Tragehaken wird der „Mantel" hochgezogen. Im Innern des Mantels sind nun die Bildwerke aus Wachs he- rausgebrannt und 'als negative Hohl- räume sichtbar. Die „falsche" Glocke aus Lehm hat ausgedient und wird vom Kern herab- geschlagen. Der Kern selbst wird von der Tre,unungssc.hichte gereinigt und das „Hä.ngeisen" für die. Aufhängung des Schwenkeis eingepa.ßt. Wird nun der Mantel auf den Kern gesenkt, bleibt zwischen Kern und Mantel ein Hohl- raum, der zuerst in der „Rippe" be- rechnet und gezeichnet, dann mit Hilfe (lee ‚.faischen Glocke" geformt wurde und nun zur Aufnahme des MetaI.l be- reit ist. Um dem ungeheuren Druck beim (loB standzuhalten, müssen. die Formen in der Formgruhn ‚eingedämmt" wer- den. Schichte auf Schichte von Form- erde wird zwischen den Formen in die Grube eingebracht und mt schweren eisernen Stampfern festgesta,nipft, bis die Grube eben voll ist. Nun werden vom A.nstichloch des Ofens zu jeder einzelnen Form oben offene Kanäle ge- baut und so uliterfeilt, daß später das flüssige Metall jede Form einzeln füllen kann. zier oub Mit kritischem Auge prüft der Mei- ster die beendeten Vorbereitungen, ein heißes Flimmern füllt die Gulihalle und silbrig schwimmen Aschenkörnchen in der dämmerigen Luft. Der Heizgeselle, der seit zehn Stunden am Schürloch des Ofens steht, wirft monoton Scheit um Scheit in den gefräßigen Schlund, gespenstisch beleuchtet von rotem Feu- erschein. Alles Werkzeug, das beim Gusse dient und mit dem Metall in Be- rührung kommt, wird auf Rotglut ge- bracht und an den Verwendungsstellen bereitgelegt; ruhig, alle Gedanken auf die kommende Verantwortung konzen- triert, nehmen die Gesellen die ihnen vertrauten Arbeitsstellen ein, die gro- ßen Schutzhüte werden abgenommen und andächtig beginnt der Meister: „Im Namen des Vaters. des Sohnes und des Heiligen Geistes . . Der Anstecher, eine lange, in einem verstärkten konischen Teil endende Stahlstange, ist am Zapfloch des Ofens angesetzt und in wuchtigen Schlägen wird der Zapfen in den Ofen eingesto- ßen. Mit. brausender Feuer,garhe schießt die wildwirbe.lnde speise aus aus dem Ofen und fließt durch die Rinne der ersten Glockenform zu. Das Einflußloch der Form ist noch durch eine eiserne ‚.Birne" geschlossen, das flüssigel Metall füllt den „Becher" und erst, wenn sich die wildwogend,- Flut, ildwogende Flut beruhigt, hat, wird die Birne gezo- gen und dein Schmelzgut der Weg in die Form freigegeben. Nur reines, schlacken - und aschenfreies Metall kommt dadurch in die Form. Mit dump- fern Dröhnen strömt die Glockenspeise in die Tiefe, durch die Windpfeifen zi- schen gelbe Flammenbündel heraus, die sich nach und nach über blau zu grün färben und damit diej Füllung anzeigen. Ein kurzes Gurgeln - grelle Rauch- schwaden steigen auf - und mit wei- chem Wallen beruhigt sich die Feuer- glut.sie ließ sich bändigen von der Form und wird erkaltend zur Gestalt. Die Glocke ist gegossen. Hier ist Er- starrung nicht Tod, sondern Geburt aus dem flüssigen zum klingenden Werk. Form auf Form füllt sich, wie Sche- inen sind die Gestalten der schweißtrie- fenden Gesellen durch die rauchge- schwängerte, flimmernd-heiße Luft zu sehen. Mit. dem Guß der letzten Giok- konform ist der flammende Strom aus dein Ofen versiegt. Die einzelnen Becher werden 'mit glü- henden Holzkohlen abgedeckt:, um die Glockenspeise möglichst lange über der Form flüssig zu halten, da das erstar- rende Erz „schwindet." und dabei Schm:elzgut, nachzieht. Die ertigtef[ung Zwölf Stunden nach dem Guß beginnt man die Glocken aus der Formgrube auszugraben und ins Freie zu schaffen. Der Lehmni.antel wird entfernt, die Zie- gelkerne herausgeschlagen und die Glocken mit Drahtbürsten gereinigt.l)ie Gußgrate an den Trennungsfugen wer- den glattgefeilt und die feinen Schwin- dungsrähte zwischen den erhabenen Verzierungen und Schriften entfernt. Zum Schlusse werden die Glocken mit Sand und Wasser gescheuert:, um blank und silberweiß mit all den aufgegosse- nen Verzierungen und Inschriften von der Kunstfertigkeit des Gießers Zeugnis. abzulegen. Diejenige Glocke ist herufn, Künder und Mahner zu sein) die Mei- sterarbeit ehrwürdigen Kunsthand- werks ist. Die Glocke hat sich im Laufe der
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