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Kitzbüheler Anzeiger
01.12.2021
News  
 

„Mein Lockdown endet nie“

Die Fieberbrunnerin ist an „Spinaler Muskelatrophie“ erkrankt und Gemeinderätin sowie berufstätig. Stephanie Pletzenauer sagt: „Die Pandemie wird vorbeigehen, mein Lockdown endet jedoch nie.“

- Ist man behindert oder wird man von der Gesellschaft behindert?
Sowohl als auch – grundsätzlich ja ich bin behindert und es bedarf meiner Meinung nach auch keiner neuen Umschreibungen wie „Handicap“ oder „besondere Bedürfnisse“, denn diese fördern nur die Stigmatisierung, die mit dem Wort „behindert“ durch die Gesellschaft einhergeht. Ich bezeichne mich als behindert, weil ich es bin. Aber wenn ich sage, „Ich bin behindert“, dann ist das kein Jammern oder Klagen, keine Selbstaufgabe und kein Eingeständnis von Schwäche oder Leid, sondern eine Tatsache.

Aber die Tatsache, dass ich Spinale Muskelatrophie habe und deshalb im Rollstuhl sitze und mich so gut wie nicht bewegen kann, ist nicht das Problem, denn in einer Umgebung, in der es ebenerdig ist, es eine Rampe oder einen Aufzug gibt sowie eine Toilette, die ich benutzen kann, bin ich nicht behindert. Was mich behindert ist also nicht die Tatsache, dass ich nicht gehen und mich kaum bewegen kann, sondern behindern mich Stufen, schmale Türen, Treppen, die Bürokratie und Menschen. Das Problem sind eigentlich vor allem Menschen. Denn zum einen schaffen sie diese Barrieren, und zum anderen grenzen sie Menschen mit Behinderung selbst in einer barrierefreien Umgebung aufgrund von Vorurteilen und auch aus Bequemlichkeit aus, indem sie diesen zum Beispiel keinen Arbeitsplatz geben wollen.

- Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihr Leben ausgewirkt?
Um ehrlich zu sein, hat sich in meinem Leben aufgrund der Pandemie nicht viel verändert. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich seit 29 Jahren durch das Behindert-Sein darauf vorbereitet wurde. So oft schon wurde ich ganz plötzlich, beispielsweise aufgrund von Schneefall, mangelnder Barrierefreiheit, aus gesundheitlichen Gründen oder auch einfach weil mein Rollstuhl kaputt war dazu verdammt, meine Pläne über Bord zu werfen und stattdessen zu Hause zu bleiben. Meine Nerven sind aus Stahl, trainiert durch die unzähligen Kämpfe mit Krankenkassen und Behörden. Ich weiß, wie es sich anfühlt und ist, von unserem System im Stich gelassen zu werden, auf Förderungen/Beihilfen etc. manchmal auch vergebens zu warten und dabei fast an der Bürokratie zu zerbrechen.

Ich war immer schon gezwungen, Herausforderungen anzunehmen und mich Gegebenheiten und Situationen zu stellen, die ich nicht selbst herbeigeführt habe und mich diesen auch zu fügen. Einfach raus und in jedes Geschäft oder Lokal etc. zu gehen spielte sich im Alltag bei mir sonst auch nicht – das war immer mit Planung, Organisation und Registrierungen verbunden, wenn es denn überhaupt möglich war. Ja, man kann schon sagen, dass ich mich schon mein ganzes Leben lang zumindest in einem „Lockdown light“ befinde. In der Pandemie hatte ich sogar erstmals das Gefühl, weniger diskriminiert in der Teilhabe zu sein und manchen Menschen voraus zu sein. Der Unterschied ist aber der: Die Pandemie und der Lockdown für alle gehen vorbei, mein „Lockdown light“ und der für viele andere Menschen mit Behinderung geht weiter, weil dieser in der Gesellschaft die akzeptierte Form des Wahnsinns ist.

- Sind Sie mit dem Virus in Kontakt gekommen?
Ich selbst war im Jänner an Covid-19 erkrankt und deshalb auch im Krankenhaus, als ich mit der Atmung Probleme bekommen habe. Denn alle Erkrankungen, die auf die Atemwege gehen, können für mich lebensbedrohlich sein, da es mir aufgrund meiner Erkrankung SMA zum Beispiel nicht möglich ist, abzuhusten. Zum Glück hatte ich aber keinen schweren Verlauf, konnte aber trotzdem zwei Monate lang nicht voll im Einsatz bei der Arbeit und in der Gemeinde stehen, weil mich allein schon das Sitzen so angestrengt hat. Ich möchte mich hierfür bei meiner Familie, meinen Ärzten und dem Personal des Bezirkskrankenhaus St. Johann bedanken, dass sie mich bis jetzt immer wieder gut hinbekommen haben. Danken möchte ich aber auch meinem Arbeitgeber und der Gemeinde, die für meinen wochenlangen Ausfall Verständnis hatten.

- Volle Spitäler, Impfpflicht, Lockdown – wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen?
Mir persönlich bereiten volle Spitäler große Angst. Elektive Eingriffe, die oft wirklich notwendig wären, werden beispielsweise aufgeschoben und können schwerwiegende Folgen haben. Oder angenommen, es käme zur Triage und die ÄrztInnen müssten entscheiden, wen sie noch auf der Intensivstation aufnehmen. Dann würde zum Beispiel ich aufgrund meiner Vorerkrankung keinen Platz bekommen und man würde mich sterben lassen müssen. Aber das könnte auch Menschen mit beispielsweise einer Krebserkrankung oder Personen, die plötzlich einen Verkehrsunfall haben - der übrigens jedem passieren kann - treffen.

Ich würde mich dann schon fragen, ob das wirklich gerecht ist, vor allem da inzwischen allseits bekannt ist, dass die Impfung dieses Geschehen verhindern kann und bei ihr wie bei allen anderen keine gröberen Nebenwirkungen entstehen. Und wie können wir es verantworten, dass ÄrztInnen solche Entscheidungen über Leben und Tod treffen müssen und bereits bis jetzt Unvorstellbares leisten müssen? Die MitarbeiterInnen auf den Corona-Stationen, aber auch die vielen Freiwilligen in den Teststationen etc. sind hier nicht zu vergessen. Das macht mich wütend. Ich habe mich nämlich auch für die Impfung entschieden, weil ich leben möchte und weil diese Lockdowns ein Ende haben müssen. Sie kosten uns alle Unsummen an Geld, das irgendwo und irgendwann eingespart werden muss und ich befürchte, dass die vermeintlich Schwächeren in unserer Gesellschaft wieder einmal draufzahlen werden.

So kann es sein, dass zum Beispiel Errungenschaften und die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen auf der Strecke bleiben werden, da man irgendwo sparen muss. Aus diesem Grund bin ich auch für eine Impfpflicht, denn für mich hört die Freiheit dort auf, wo sie vielen anderen zu schaden beginnt. Foto: Jungmann

 
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