Kitzbüheler Anzeiger

Westendorf

Ausgabe im Vollbild öffnen
Zurück Gemeindeübersicht
4 Juni 2020 Thema Jakob Gossner ist den Le- sern des Westendorfer Boten von seiner Schilderung des Wegbaus in die Oberwindau bekannt (August 2017). Nun berichtet er anlässlich des Jubiläums „75 Jahre Kriegsende“ von seinen Er- lebnissen. Am 15. Juli 1943 ich war ich auf der Baumgartenalm als Melker und Hirte, zu dieser Zeit auf der Hochalm „Ober- kar“. Nach dem Melken (von 3 Uhr früh bis 6 Uhr) muss- te ich schnell zur Niederalm hinunter und mich umzie- hen, weil die Musterung in Kitzbühel anstand. Mit dem Fahrrad eilte ich zum Bahn- hof Westendorf, von dort ging es mit dem Zug weiter. Ich dachte nicht im Traum daran, für „wehrfähig“ be- funden zu werden, da ich klein und sehr schmächtig war. Die Musterung wurde mit einer kleinen Jause im Ho- tel „Andreas Hofer“ abge- schlossen. Schnell ging es mit dem Zug nach Westen- dorf zurück und mit dem Rad – damals natürlich noch ohne Gangschaltung und selbstverständlich ohne Stromunterstützung - auf die Baumgartenalm. Dann eilte ich auf die Hochalm, denn am nächsten Morgen stand um 3 Uhr wieder das Mel- ken an. Es dauerte vier Wochen, bis ich die „Einberufung zum Reicharbeitsdienst“ erhielt. Am 15. Oktober musste ich nach Hohenems in Vorarl- berg. Da pfiff ein anderer Wind! Ich war in einer Stube mit 15 Mann einquartiert, um 6 Uhr war Tagwache und an- schließend Frühsport, meis- tens ein 10-km-Lauf. Nach dem Frühstück ging es mit einer Singstunde oder politi- schem Unterricht weiter, ehe wir auf den Hof mussten und das Singen und Marschieren übten. Klappte es nicht so, wie die Vorgesetzen sollten, hieß es: „Hinlegen – auf – marsch, marsch!“ Und das viele Male! Manchmal gab es auch Gewaltmärsche, die bis Mittag dauerten. Das Mittagessen war oft ein Gemüseeintopf mit einem Glas Wasser. Nach der kur- zen Essenspause ging es mit Marschieren, Singen und Übungen, bei denen man sich sputen musste, wei- ter, so lange, bis es klappte und die Oberen zufrieden waren! Am Abend gab es Suppe und Brot, ehe wir noch einmal das Singen trainieren muss- ten. Um 22 Uhr war Nacht- ruhe. Jeder musste Hände und Füße vorzeigen. Wenn diese bei irgendeinem nicht sauber genug waren, muss- ten alle wieder hinaus auf den Hof und hieß wieder: „Hinlegen – auf – marsch, marsch!“ Ein Mann hatte Stubendienst und war da- für zuständig, dass alles in Ordnung war und das Licht rechtzeitig ausgeschaltet wurde – bis 6 Uhr früh. Dann hörte man wieder die Trillerpfeife und es hieß: „Alles antreten zum Früh- sport!“ Wir mussten laufen, laufen, laufen. Nicht selten bekam ich Herzstechen und musste mich hinknien, bis es besser war. Bereits in der zweiten Woche bekamen wir ein Gewehr in die Hand gedrückt und üb- ten mit blinder Munition. Wir mussten aber manchmal auch in den Feldern rund um Hohenems arbeiten. Wir leg- ten Drainagen an, denn viele der Felder waren sehr sump- fig.DieseArbeitempfanden wir fast wie eine Erholung, da wir nicht ständig unter dem Drill standen. Abends ging es wieder zurück in die Baracke und der Zauber ging wieder von neuem an. Bis zum 5.2.1944 ging es so weiter. An diesem Tag wur- den wir entlassen und durf- ten nach Hause fahren. Aber, oh Schreck! Dort wartete schon die Einberufung nach Villach! Am 15.2. musste ich den Weg nach Kärnten antreten, wo es sofort mit dem Drill, den wir in Vorarlberg ken- nengelernt hatten, weiter- ging. Vor allem die tagelan- gen Märsche mit schwerem Gepäck waren schlimm! Drei Wochen lang dauerte diese Vorbereitung, dann ging es nach Slowenien. Plötzlich wurde es gefähr- lich, man wusste nie, wo die Gefahr steckte – für einen 17-Jährigen eine dramati- sche Erfahrung! Im Herbst kam ich zurück nach Villach und wurde der 5. Gebirgsdivision in Itali- en zugeteilt. Wir wurden in Viehwaggons gepfercht und traten den Weg nach Tirol an. In Wörgl war Fliegeralarm. Alles musste aus dem Zug. Ein Kamerad flüchtete mit mir in den nächsten W ald, wo wir uns versteckten. Da wir übermüdet waren, schliefen wir ein und er- schraken, als wir später fest- stellen mussten, dass unser Zug bereits weg war. Zufäl- lig stand aber im Bahnhof ein anderer Zug, der nach Italien fuhr. Er war besetzt mit Polen, die freiwillig im deutschen Heer dienten. Wir setzten uns mit dem Trans- portleiter, einem Leutnant, in Verbindung, sodass es uns gelang, mit diesem Zug den Weg in den Süden antreten zu können. Aber, o Schreck: Unser Gepäck war ja im an- deren Zug! Im „Polenzug“ wurden wir ordentlich verpflegt, und so erreichten wir Rovereto. Da der Zug nach Mailand weiterfuhr und wir nach Ve- rona mussten, stiegen wir aus. Vor dem Bahnhof stand ein Laster mit Obst und Weintrauben, der auf dem Weg nach Verona war. Wir durften auf der Ladefläche mitfahren. Dort war es sehr kalt. Im Bahnhof von Verona stand unser Zug, der für die Josef Gossner berichtet von seinen Erlebnissen am Ende des Zweiten Weltkriegs Meine verlorenen Jahre Jakob Gossner wird bald 94 Jahre alt.
< Page 3 | Page 5 >
 
Kontakt
Tel.: +43 (0) 5356 6976
Fax: +43 (0) 5356 6976 22
E-Mail: info@kitzanzeiger.at
Virtuelle Tour
Rundblick - Virtual Reality
Werbung
 
Zurück Aktuelle Gemeinde Archiv Suchen