„Virus ist eine große komplexe Aufgabe“
Kaum ein anderer Arbeitsalltag ist von der Pandemie so stark betroffen, wie jener der Mitarbeiter im Krankenhaus. Einblicke gibt Michael Koidl, Pflegebereichsleiter auf der Intensiv- und Covid-Intensivstation, der mit seinem Team die Herausforderung meistert.
Seit knapp zwei Jahren ist die Pandemie in Tirol angekommen. Wie ist die aktuelle Lage auf der Intensivstation im Bezirkskrankenhaus?
Es ist eine sehr herausfordernde Zeit. Die Personalsituation ist stark angespannt. Wir haben nun zwei Jahre Erfahrung und sind gut organisiert. Mit dem heutigen Tag (Anm., Fr. 10.12.) ist die Lage stabil.
Was hat sich gegenüber vorherigen Wellen verändert?
In der ersten Welle war das gesamte Krankenhaus im Notfallbetrieb, die Ressourcen wurden größtenteils für die Covideinheiten vorgehalten und eingesetzt. Derzeit wird das BKH in einem eingeschränkten Modus betrieben. Die Personalorganisation ist weitaus komplexer geworden. Auch die langfristigen Planungen sind durch die „relative“ Unberechenbarkeit“ der Pandemie schwierig. Wir versuchen so viel als möglich von unserem „normalen Betrieb“ zu gewährleisten.
Wie bewerten Sie die Öffnungsschritte in dieser Phase?
Ich habe Verständnis für beide Seiten. Die Pandemie ist eine große komplexe Aufgabe, in der es keine einfachen Lösungen gibt. Ein erneuter Zuwachs bei den Zahlen ist für mich fast logisch, denn die Pandemie ist noch nicht vorbei.
In vielen Publikationen wird die Wichtigkeit des Impfens betont und auch zahlreiche Experten sprechen sich dafür aus. Wie stehen Sie zum Thema Impfen?
Die Spaltung der Gesellschaft finde ich schade und auch besorgniserregend. Im Team gibt es keinen Konflikt über Impfung oder Nicht-Impfung. Ich halte mich an die Tatsachen und diese sprechen für sich.
Bereits im Mai wurde eine eigene Covid-Intensivstation eingerichtet. Welche Patienten werden dort versorgt?
Die Errichtung dieser Einheit war einer der größten Schritte, welche eine bessere Versorgung, Planung und Optimierung der Abläufe für uns und das ganze Haus ermöglichte.
Auf dieser Einheit werden Covid-positive Patienten behandelt, welche einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen. Entweder übernehmen wir diese Patienten von der Covid-Normalstation oder bei fulminanten Verläufen kommen diese direkt von zu Hause. Es macht für uns keinen Unterschied ob diese geimpft sind oder nicht. Wir wissen es, aber es wird nicht thematisiert. Geimpfte Personen machen zwischen 5-10 Prozent auf der Covid-Intensivstation aus. Bis heute haben wir keinen Menschen aufgrund eines Impfschadens auf der Intensivstation behandelt.
Wie schützt man sich während der Arbeit am besten vor einer Ansteckung?
Am Anfang der Pandemie haben wir mit Mund-Nasen-Schutz gearbeitet, da haben sich einige Krankenhausmitarbeiter infiziert. Seit der Umstellung auf FFP2-Maske gibt es im Team keine Ansteckungen mehr. Bei der Arbeit am Patienten tragen die Pflegekräfte FFP3-Masken. Außerdem ist Schutzkleidung ein Muss.
Was hat die Pandemie mit dem Team gemacht. Welche Veränderungen sind gekommen?
Wir sind nach wie vor auf Kollegen aus anderen Bereichen, die uns unterstützen, angewiesen. Die Arbeit im Team wird intensiver erlebt. Wir benötigen viel mehr Gespräche, um mit der Situation umzugehen. Belastende Themen werden angesprochen und so gut es möglich ist, aufgearbeitet. Weiter sind auch alle Kollegen gefordert, Strategien zu entwickeln, um mit der Situation umzugehen. Ich empfinde einen stärkeren Zusammenhalt, trotz der schwierigen Situation.
Ein achtsamer Umgang untereinander ist wichtig. Das Erleben der Teamkultur ist ein großer Faktor, wie gerne man in seine Arbeit geht. Darüber entscheidet, ob die ohnehin schon belastende Arbeitssituation als noch belastender empfunden wird.
Gibt es bereits Kündigungen aufgrund der Pandemie?
Natürlich denkt der eine oder andere nach, den Beruf zu wechseln. Bisher ist aber noch niemand aufgrund von Corona gegangen. Betonen möchte ich den guten Zusammenhalt im interdisziplinären Team, von den Reinigungskräften bis zu den Ärzten.
Was war die größte Herausforderung in dieser außergewöhnlichen Zeit?
Ganz klar die Anfangszeit. Die Ungewissheit war von vielen Ängsten geprägt. Dazu kamen noch die Bilder aus der schwer getroffenen Region Bergamo (Italien). Eine Krisensitzung folgte der anderen. Es wusste keiner so genau, was auf uns zukommt.
In Abstimmung wurde das Personal in drei Teams eingeteilt. Zwei Teams arbeiteten abwechselnd und ein Team stand bereit, falls es Ansteckungen gab. Dies war nur mit der Unterstützung von vielen Kollegen aus anderen Teams möglich. Das löste auf allen Seiten Stress aus. Wir lernten jedoch schnell dazu und konnten unsere Strukturen und die Organisation adaptieren.
Sie arbeiten auf einer Station, wo es um Leben und Tod geht. Wie hat sich ihr Arbeitsalltag verändert?
Der Job am Menschen ist der gleiche, aber intensiver geworden. Außerdem ist die Organisation aufwendiger und komplexer, da der Personalaufwand in der Pandemie derzeit viel höher ist. Im Sommer gab es beispielsweise nur vereinzelt Fälle. Trotzdem können wir seit Pandemiebeginn nur bedingt einen normalen Arbeitsalltag führen. Unser Team arbeitet zur Zeit aufgrund der beiden Stationen gesplittet.
Wie beurteilen Sie den Covid-Krankheitsverlauf. Sind Vergleiche mit anderen Krankheiten möglich?
Wir müssen immer wieder sehr fulminante Krankheitsverläufe beobachten, sprich, der Zustand der Patienten verschlechtert sich oft rapide. Auch jüngere Menschen, die voll im Leben stehen, sind betroffen. Ich habe so etwas vorher noch nie gesehen.
Wie halten Sie es mit Maskenverweigerern und Demonstranten, die gegen die Maßnahmen protestieren?
(Überlegt lange) Es zählt nicht nur das Ich. Jeder hat eine Familie um sich, Freunde, die man auch mit dem Virus anstecken kann.
Wie empfinden Sie Ihren Beruf? Ist dieser auch in dieser Ausnahmesituation noch immer eine Berufung?
Der Beruf ist für mich nach wie vor erstrebenswert und abwechslungsreich. Das Geschehen ist herausfordernd, die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt. Ich würde ihn aber jederzeit wieder ergreifen. Verena Mühlbacher
Bild: Michael Koidl leitet seit 2019 die Intensivstation im Bezirkskrankenhaus. Mit 21 Jahren entschloss er sich, die Diplomausbildung zum Krankenpfleger zu starten. Gearbeitet hat er in unterschiedlichen Stationen wie Chirurgie und Interne. Weiterbildungen im Intensiv- und Anästhesie-Bereich folgten. Foto: privat
Vermerkt - Organisation Intensivpflege
St. Johann | Im Krankenhaus St. Johann gibt es acht systemisierte Betten, vier davon werden seit Mai in einem eigens umgebauten Bereich für Covid-Patienten freigehalten. Derzeit befinden sich drei Covid-Patienten auf der Intensivstation, die Pflegekräfte arbeiten in 12-Stunden-Schichten und kümmern sich pro Schicht um zwei Patienten. Auf der Normalstation befinden sich 11 Infizierte. Stand: Dienstag, 14.12., um 12 Uhr