Kitzbüheler Anzeiger
27.01.2019
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Dialog zwischen Kopf, Herz & Bauch

Hahn + Kamm + Rennläufer =? Fertig war das Plakat des Hahnenkammrennens 2019. Ist es wirklich ganz so einfach? Ein sehr ausführliches Gespräch mit dem Künstler Thomas Riess liefert nicht nur Antworten.

Kitzbühel | Thomas Riess (*1970) hatte mit seinem auf drei Piktogrammen aufgebauten Plakatentwurf die Jury überzeugt. Es ist ganz simpel: Ein Hahn, ein Kamm, ein Skirennläufer und alle wissen worum es geht. Und genau das ist im Grunde die Aufgabe eines Plakates: den Inhalt schnell, eindeutig und klar zu vermitteln. Es zeigt sich allerdings deutlich, dass ein derartiges Plakat unserer schnelllebigen Zeit und der Generation der Emojis (Bildschriftzeichen) und Icons förmlich entgegenkommt und genau deshalb in unserer Zeit funktioniert. Diese drei Bilder mutieren zur bestimmenden Bildsprache, die der gebürtige Tiroler Künstler bewusst in Szene setzt und gezielt zu seinem narrativen Gestaltungsmittel wählt.

Sprache als wertvolles Kulturgut und Inspiration

Für Riess zählt die Sprache als wertvolles Kulturgut zum zentralen künstlerischen Element. Gedichte, Musikstücke, Zitate, Sager, Wortwitze oder intensive Gespräche entwickeln sich oft zur Inspirationsquelle für seine künstlerischen Arbeiten. So nennt er als Initialzündung für seine Papierarbeit „Sprich mit mir“, das Musikstück von Peter Gabriel „Talk to me“, ein Lied, das den Künstler so sehr bewegt, dass es ihn sogar auf eine einsame Insel begleiten sollte. Das Bild zeigt die Situation einer religiösen Prozession und anstelle einer Heiligenfigur wird eine rote Telefonzelle als Huldigungsobjekt von den Pilgern getragen. (www.thomasriess.com)

Auch setzt er gezielt die Sprache als Gestaltungsmittel ein. Die Wahl der Titel für seine Bilder ist ganz bewusst. Die Worte, die er schließlich unter seine Bilder setzt, sind wie eine Farbe, die er während des Arbeitsprozesses einfließen lässt. Die Titel vervollständigen seine Arbeiten und dienen als Weg, um den Betrachter an das Bild heranzuführen, ihn zu irritieren, einen Denkprozess anzustoßen oder mit ihm in einen Dialog zu treten.

Die Suche nach dem ganz Bestimmten ist ebenso eine Qualität, die den Künstler antreibt. Selten gibt er sich mit dem Einfachen oder Offensichtlichen zufrieden. Dies zeigt sich vor allem bei seinen Papierarbeiten und Collagen, wenn er oft Stunden damit zubringt, nach genau einem Bildelement für ein wesentliches Detail zu suchen.

Der Mensch steht im Mittelpunkt

Für Riess steht aber fast immer der Mensch im Mittelpunkt. Ein herausragendes Beispiel dieses Verständnisses ist der Werkzyklus „Lost Faces“. Überdimensional große Porträts von Menschen, die von einer Konsumgesellschaft wie unserer gerne verschwiegen werden – sogenannte Homeless-People. Riess fotografierte als Vorlage für seine spätere Arbeit in verschiedensten Großstädten Obdachlose und versuchte diesen Menschen, die einem konsumdominierten System in keinster Weise entsprechen, vertrieben werden und in der Anonymität verschwinden, wieder ein Gesicht zu geben.

Hier wählte der Künstler auf zweierlei Art einen interessanten Zugang. Einerseits gibt er alleine durch die Wahl monumentaler Porträts diesen Menschen in unserer Gesellschaft wieder eine Gewichtung und löst sie aus ihrem aktuellen Kontext. Zum anderen greift er zu einem unkonventionellen künstlerischen Ausdrucksmittel – der Korrekturbandroller (Tipp-Ex). Auf schwarzgrundierten Leinwänden moduliert er die Gesichter dieser Heimatlosen und macht mit einem eigentlich fehlerverdeckenden Medium das Unangepasste und für die Gesellschaft Unangenehme sichtbar. Auf der Bildfläche entsteht eine Art binärer Code aus Schwarz und Weiß, der vielmehr mit Betonung als mit Löschung in Verbindung zu bringen ist.

Die aktuellen Arbeiten des Künstlers bestechen durch eine altmeisterliche Maltechnik, ein realistischer Kontext, der mit abstrakten oder völlig irrealen Elementen durchkreuzt wird und im Gesamtkontext als Störfaktor wahrgenommen wird. Dabei versucht Riess die Grenzen zwischen Realität und Illusion aufzuheben. Man ertappt sich dabei, das Gesehene einordnen und die Fragen nach der subjektiven Erfahrung beantworten zu wollen und er fordert den Betrachter in seiner subjektiven Auffassungsgabe heraus.

Thomas Riess will nicht belehren

Thomas Riess will nicht belehren, darin sieht er als Künstler nicht seine Aufgabe. Er will jedoch gesellschaftliche Entwicklungen und Strukturen in Frage stellen, soziale Themen aufwerfen und mit seiner Umwelt in einen Dialog treten. Sein ganzheitliches Kunstverständnis und sein unkonventioneller künstlerischer Zugang sind geprägt von einer wohldosierten Mischung aus Intellekt und Emotion und er nimmt sich als Künstler sowohl eine inhaltliche als auch formale Freiheit heraus, um eine Metaebene zu schaffen, auf der die Werke ihren Dienst an der Gesellschaft tun können.

KunstBlicke Mag. Martina Dorner-Bauer ist Kunsthistorikerin, Ausstellungskuratorin, Autorin, Betreuerin div. Kunstsammlungen und Gründerin der Agentur DieKunstagenten.
martina@diekunstagenten.at     

 
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