Der Urahn unserer Chronisten
Der Museums- und Kulturverein St. Johann legt ein 330 Jahre altes Buch neu auf und gewährt Einblick in das Leben einfacher Menschen.
St. Johann | Die Geschichtsschreibung widmete sich lange unterschiedlichen Herrscherpersönlichkeiten, Schlachten und zweifelhaften Friedensschlüssen, Glaubenskämpfen und ihren dramatischen Folgen, Adel und Bischöfen, aber nicht dem Leben des oft rechtlosen „einfachen Mannes“.
Die am Ende des 17. Jahrhunderts niedergeschriebene Tageschronik des Hans Prugger zu Götschen im Werchat Sperten des Landgerichts Kitzbühel ist mehrfach ungewöhnlich. Ein schriftkundiger Privatmann lang vor Einführung der Schulpflicht, der ohne Auftrag zum Chronisten wird und lokale Ereignisse wie Geschehnisse der Weltpolitik festhält, ein dem Bischof von Chiemsee zinspflichtiger Bauer, der so wohlhabend und selbstsicher war, dass er zwei Porträts in Auftrag gab, das wirft Fragen auf, die nicht zu beantworten sind.
Das erste Porträt entstand zur Zeit der Chronistentätigkeit, das zweite wurde im Todesjahr 1734 gemalt. Da zeigt sich ein selbstbewusster Greis mit Vollbart. Sie hängen im Museum der Marktgemeinde. Glücklicherweise hat sich sein „Zeit- und Wunderbiechl“ in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum erhalten.
Kaiserbesuch und Zulauf zu Prediger
Für wen er das Alltagsleben seiner Zeit, Wetter und Klima, Viehseuchen, Erdbeben und Hochwasserereignisse, den Durchzug von Soldaten, den Aufenthalt von Kaiser Leopold (1665) beim Bärenwirt, und des Predigers Marco d’Aviano(1680), der viele Menschen aus den Nachbardörfern, aber wenige aus St. Johann anzog, eigentlich aufgezeichnet hat, wissen wir nicht.
Wanderheuschrecken und entfallener Sommer
Anschaulich beschreibt Prugger das Wüten von Wanderheuschrecken im Jahr 1693, die innerhalb von zwei Stunden das Getreide vor der Ernte und das Gras auf den Feldern vernichteten.
Im Jahr 1694 fiel der Sommer fast weltweit aus, weil fast gleichzeitig drei Vulkane in verschiedenen Regionen ausbrachen. Da die Nachrichtenübermittlung noch nicht funktionierte, wusste man den Grund lange nicht. Ähnlich war es noch im „Jahr ohne Sommer“ (1816) in Europa.
Blut eines Hingerichteten als „Medizin“
Die öffentliche Hinrichtung eines Verbrechers aus Kössen durch den „Freimann“ in Kitzbühel schildert Prugger ausführlich. Zwei Epileptiker hielten sich bereit, um nach dem Schwerthieb Blut des Gerichteten zu trinken, weil der Aberglaube versprach, so die Krankheit zu besiegen.
Nach dem Selbstmord einer Bäuerin verfasste der Dekan ein Bittgesuch an den Bischof und an die staatliche Behörde in Innsbruck, um ihr ein Begräbnis im Friedhof zu ermöglichen. Die Landesbehörde fand den „Kompromiss“, die Leiche der Unglücklichen zu verbrennen und die Asche auszustreuen.
Immer wieder herrschte Krieg mit Frankreich und den Türken. Für einen Kanonentransport bei hohem Schnee von Pass Strub über die Reichsstraße am Rerobichl und bis Ellmau im Landgericht Kufstein waren 78 Pferde im Einsatz. Ausführlich beschrieb Prugger eine Grundlawine, die 1689 in St. Jakob in Haus großen Schaden anrichtete. Wie durch ein Wunder kamen eine verschüttete Familie und ein Kleinkind mit dem Leben davon. An der Kirche entstand großer Schaden.
In der Berichtszeit gab es Kometen und die beim Jahrhundertwechsel übliche Angst vor dem Weltuntergang.
Eine umfassende Bearbeitung
Keine Angst, aber sehr viel mühsame Arbeit hatte Mag. Peter Fischer, Geschäftsführer des Museums- und Kulturvereins St. Johann, in der Pandemiezeit, als er sich daran machte, das Buch für heutige Leser nutzbar zu machen.
Seine seitengetreue Transkription erschließt das schwer zu lesende Werk allen, die an dem besonderen Abschnitt der Heimatgeschichte interessiert sind. Das neue „Zeit- und Wunderbiechl“ ist 540 Seiten dick geworden.
Das nun eingebaute Bildmaterial zeigt vorwiegend Aufnahmen des begeisterten und fleißigen Fotografen Josef Wörgötter, festgehalten noch vor der Umstellung der Landwirtschaft um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Tabellen und ein umfassendes Stichwortverzeichnis ermöglichen den Überblick im technischen Bereich der Aufzeichnungen.
Prugger hat 1695 zu schreiben begonnen, aber er gibt einen Rückblick bis etwa in sein Geburtsjahr 1660, aufgehört hat er 1704, sodass viele Seiten leer geblieben sind. Danach kümmerte er sich nur mehr um „technische Daten“. Gestorben ist Prugger im Jahr 1734.
Die „Neuauflage“ von Pruggers Buch, von Land und Gemeinde unterstützt, wird kein Bestseller, verdient aber Respekt und Anerkennung für den Herausgeber und den akribischen Überträger für unsere Zeit, und viele interessierte Leser. H.W.
Bild: Das Porträt in der Galerie des Museums St. Johann zeigt Hans Prugger zur Zeit der Chronistentätigkeit. Foto: Kogler