Kitzbüheler Anzeiger
27.08.2018
News  
 

„Das gewisse Selbstbewusstsein fehlt oftmals“

Brigitte Lackner war die erste gewählte Bürgermeisterin im Bezirk. Seit 2010 hat die ehemalige Gastwirtin das Zepter in der Gemeinde St. Ulrich in der Hand. Sie ist mit Leib und Seele Bürgermeisterin, aber eine Rarität.

Vor Kurzem fand in St. Ulrich zum zweiten Mal das Bürgermeisterinnen-Treffen statt. In diesem Jahr sogar das erste Mal auf europäischer Ebene. Wie ist die Stimmung unter Ihren Kolleginnen?
2016 hatte ich mir vorgenommen, wenn ich wieder zur Bürgermeisterin gewählt werde, dann möchte ich neben dem alljährlichen österreichischen, ein erstes europäisches Bürgermeisterinnen-Treffen initiieren. Die Stimmung war grandios. Die Vernetzung ist sehr wichtig, denn im Prinzip haben wir alle die gleichen Sorgen, Pflichten und auch Freuden – egal im welchen Land man Bürgermeisterin ist. Die Resonanzen auf die Vorträge und das Programm waren nur positiv. In anderen Ländern kannte man solche Vernetzungstreffen ja noch nicht.

Warum glauben Sie, wagen sich immer noch so wenig Frauen in den Gemeinden in die Politik?
Vielen Frauen fehlt leider noch immer das gewisse Selbstbewusstsein, das es in der Politik braucht. Wir Frauen haben oft Angst, als „Wichtigtuerinnen“, „Besserwisserinnen“ oder „Emanze“ abgestempelt zu werden. Zudem stellen wir an uns selbst zu hohe Ansprüche und haben Angst, diesen nicht gerecht zu werden. Männer gehen z.B. mit Beleidigungen oder ungerechtfertigter Kritik ganz anders um, sie werden vielleicht laut oder schenken dem weniger Beachtung. Frauen hingehen lassen sich oft zu leicht kränken und provozieren.

Was halten Sie persönlich von der Forderung, eine Quote für Frauen in der Politik festzulegen? Würde das den Zugang zur Politik erleichtern bzw. selbstverständlicher machen?
Von Quoten halte ich im Grunde sehr wenig, denn nicht jede Frau bringt die Voraussetzungen für das glatte Parkett in der Politik mit.  

Wie sind Sie in die Politik gekommen?
Ich habe mich schon immer für öffentliche Belange interessiert. Durch meinen Beruf als Gastwirtin habe ich auch mitbekommen, welche Probleme am Stammtisch diskutiert werden. Ich wollte etwas bewegen und bin der ÖVP beigetreten. 1998 bei meiner Wahl zur Gemeinderätin habe ich dann bereits die meisten Vorzugsstimmen im Ort bekommen.
Nach zwei Perioden im Gemeinderat habe ich mich aufgrund des Rückhaltes, den ich bei den St. Ulrichern gespürt habe, dazu entschieden, als Bürgermeisterin gegen zwei Männer zu kandidieren. Es kam zu einer Stichwahl. Damals hätte man mir den Deal angeboten, dass mein Gegenkandidat auf eine Stichwahl verzichtet, wenn ich ihn fix zum Vize-Bürgermeister mache. Das habe ich sofort abgelehnt, mir war es wichtig, von der Bevölkerung gewählt zu werden – und so war es dann auch.
Bei der Gemeinderatswahl 2016 wurde ich in meinem Amt bestätigt und konnte sogar an Stimmen zulegen.

Gibt es Ihrer Meinung nach Unterschiede zwischen „männlicher“ und „weiblicher“ Politik?
Die Politik unterscheidet sich insofern darin, dass Frauen anders an die Themen herangehen und auch Zukunftsprojekte oft anders bewerten. Ich kann mich noch gut an den rauen männlichen Gegenwind erinnern, als ich den Vorschlag machte, eine Kinderkrippe zu errichten. Wir waren dann nach viel  Überzeugungsarbeit eine der ersten Gemeinden in Tirol mit einer Kinderkrippe, die nun mittlerweile überbelegt ist.
Auch im politischen Stil gibt es Unterschiede. Männer poltern gerne, Frauen bleiben lieber sachlich. Im St. Ulricher Gemeinderat ist es mir gelungen, eine gute Gesprächskultur einzuführen. Es braucht keiner zu schreien oder untergriffig zu werden. Jeder wird gehört und soll seine Meinung sagen können.

Die meisten Frauen dringen in der Politik auf Gemeindeebene in eine Männer-Domäne ein, hatten Sie mit Vorurteilen zu kämpfen?
Ehrlich gesagt könnte ich mittlerweile ein Buch über persönliche Angriffe schreiben. Besonders am Anfang haben männliche Kollegen im Gemeinderat mit allen Mitteln versucht mich auf die Palme zu bringen, bis hin zu Intrigen. Es hat mir im Inneren zwar sehr weh getan, durch meine Geradlinigkeit und Ausgeglichenheit, habe ich aber auch das überstanden.
Ich habe auch das Glück durch meinen ehemaligen Beruf im Tourismus ein ziemlich starkes Nervenkostüm zu haben. Mein Motto lautet in jeglicher Situation: „Ruhe zu bewahren“.

Eine Frage, die  leider nach wie vor nur Frauen gestellt wird: Familie und Politik – ist das vereinbar?
Ja, wenn man einen verständnisvollen und loyalen Partner hat, so wie ich, dann ist es möglich. Unser Sohn ist schon seit vielen Jahren aus dem Haus, aber jetzt kommen die Enkelkinder des Öfteren zu Besuch  und da habe ich schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich wenig Zeit für sie habe. Schlimm ist es auch, wenn ein Familienmitglied erkrankt. Familie, Beruf und politisches Engagement sind für Frauen nach wie vor schwierig zu vereinbaren.

Glauben Sie haben Männer umgekehrt auch ein schlechtes Gewissen, wenn sie für ihre Familie wenig Zeit haben?
Nein, das glaube ich nicht. Bei den Männern spielt das eine geringere Rolle. Es ist immer noch so, dass vorausgesetzt wird, dass Frauen für die Familien da sind. Ich weiß nicht, ob sich das jemals ändern wird.

Was raten Sie Frauen, die sich politisch engagieren möchten?
Ein guter Einstieg ist es, sich bei Vereinen, Organisationen oder im sozialen Bereich zu engagieren. Ich habe sehr viel bei „Frau in der Wirtschaft“ gelernt.  Bei dieser VP-Vereinigung habe ich auch Landesrätin Beate Palfrader näher kennengelernt. Ich bin seit 2010 Obfrau der VP-Frauen im Bezirk. Netzwerken auf allen Ebenen ist unheimlich wichtig.
Ausschlaggebend ist auch, dass Frauen andere Frauen fördern und ermutigen –  ich versuche immer Frauen für die Politik zu begeistern, denn es ist zwar eine fordernde, aber unheimlich tolle Aufgabe, wo man viele Erfahrungen sammelt. 
Johanna Monitzer

 
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