
Weiter wie bisher oder gehen wir es an?
Im Jahr 2024 verzeichnete Tirol einen durchschnittlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit um 9,3 % auf 16.027 Personen*, während die Zahl der offenen Stellen um 11,3 % auf 7.120 gesunken ist. Dennoch bleibt die Beschäftigung auf einem erfreulich hohen Niveau: mit über 358.000 unselbstständig Beschäftigten erreichte Tirol einen neuen Rekordwert. Die Arbeitslosenquote lag 2024 bei 4,3 % und sicherte dem Bundesland im österreichweiten Vergleich einen Spitzenplatz. Lediglich Salzburg schnitt mit 4,2 % noch etwas besser ab.
Auch der Bezirk Kitzbühel gehört mit einer Arbeitslosenquote von 3,9 % zu den führenden Regionen des Landes, nur übertroffen von Schwaz und Reutte. Die zu Jahresbeginn spürbare Nachfrageschwäche in der Tiroler Wirtschaft hat sich inzwischen deutlich gebessert. Was immer noch ein Thema ist und uns weiterhin beschäftigen wird, ist der Fachkräftemangel.
Geschäftsführer, Entscheidungsträger und Personalverantwortliche stehen vor der Herausforderung, qualifizierte Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern sie auch dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Wie kann das nachhaltig gelingen? Als Expertin für Personal- und Organisationsentwicklung habe ich die Gelegenheit, zahlreiche Unternehmen zu begleiten und mit unterschiedlichsten Mitarbeitenden sowie erfahrenen Personalverantwortlichen und Führungskräften ins Gespräch zu kommen. Wie begegnen diese den Herausforderungen des Fachkräftemangels, und welche bewährten Lösungswege gibt es? Zwar existiert keine universelle Strategie für erfolgreiche Personalpolitik, doch lassen sich einige grundlegende Prinzipien benennen, die sich insbesondere auch in meiner Praxis sehr bewährt haben.

Personalarbeit ernst nehmen
Erfolgreiche Unternehmen haben eines gemeinsam: sie messen der Personalarbeit einen hohen Stellenwert bei und investieren gezielt in diesen Bereich. Die Zeiten, in denen Personalmanagement vor allem aus Lohnverrechnung und der Erstellung von Arbeitsverträgen bestand, sind längst vorbei. Heute ist moderne Personalarbeit ein wesentlicher und fest verankerter Bestandteil der Unternehmenskultur. Entlang der sogeannten „Employee Journey“ umfasst sie eine Reihe von Aufgaben: angefangen bei einem durchdachten Recruiting Prozess über strukturiertes On- und Offboarding bis hin zu Personal- und Organisationsentwicklung, aktivem Generationenmanagement sowie lebensphasenorientierten Arbeitsmodellen. Es reicht nicht aus, mit teuren „Employer Branding“ Kampagnen nach außen ein attraktives Bild zu zeichnen. Ein attraktiver Arbeitgeber punktet vor allem dadurch, dass er seine Versprechen auch einlöst. Transparenz über Arbeitsbedingungen ist heute so hoch wie nie zuvor. Besonders junge Menschen sind gut vernetzt und wissen sehr genau, wie es in den einzelnen Unternehmen wirklich aussieht und ob sich ein Arbeitgeber als interessant und attraktiv erweist.
Ein attraktiver Arbeitgeber punktet vor allem dadurch, dass er seine Versprechen auch einlöst. Transparenz über Arbeitsbedingungen ist heute so hoch wie nie zuvor.
Der Mensch steht im Mittelpunkt
Moderne Personalarbeit stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Gute und erfolgreiche Personaler und Führungskräfte zeichnet eine Eigenschaft besonders aus. Sie hören zu und interessieren sich dafür, wie es den Menschen in der Organisation geht, welche Anliegen sie haben und wo ihre Stärken und Begabungen liegen. Die Ära der klassischen Hierarchien, in denen ein einzelner „Chef“ die Richtung vorgab, ist in modernen, erfolgreichen Unternehmen längst vorbei. Gute Führung bedeutet heute vor allem, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten und ihre Aufgaben optimal erfüllen können. In den Unternehmen sind heute vier Generationen tätig, die jeweils von unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen geprägt wurden. Besonders die Generationen Y und Z, die in den nächsten Jahren die Mehrheit der Mitarbeitenden stellen, lassen sich nicht mehr allein durch Geld oder Status motivieren. Ihre Ansprüche sind vielfältiger: sie wünschen sich Mitsprache, Transparenz und sie wollen gehört werden. Zudem legen sie großen Wert auf klare Strukturen, Sicherheit und verlässliche Ansprechpartner, die sie unterstützen.

Stärkenorientierung statt Schwächen Fokussierung
Mitarbeitende entfalten ihr Potenzial am besten, wenn sie ihre Stärken einbringen und über die nötigen Kompetenzen für ihre Aufgaben verfügen. Weder Über- noch Unterforderung führt zu optimalen Ergebnissen, sondern die gezielte Förderung individueller Fähigkeiten. Wer die Talente und Kompetenzen im Team erkennen und einsetzen möchte, braucht Führungskräfte, die echtes Interesse an ihren Mitarbeitenden zeigen und den regelmäßigen Dialog suchen. Eine etablierte Feedback Kultur mit regelmäßigen Mitarbeitergesprächen und klaren Zielvereinbarungen bildet hierfür die Basis. Diese Prozesse erfordern Zeit und Führungskräfte, die diese Aufgaben als essenziellen Teil ihres Wirkens begreifen. In Tirol ist jedoch noch oft das Motto verbreitet: „Nicht geschimpft ist gelobt genug“. Das ist ein Ansatz, der insbesondere bei der jungen Generation schnell zu Unzufriedenheit und Demotivation führen kann. Das Ausmerzen von Schwächen fordert enorm viel Aufwand und Ressourcen. Die Ergebnisse sind oft enttäuschend. Macht es da nicht viel mehr Sinn, sich auf die Stärken der Mitarbeitenden zu konzentrieren und diese zu fördern? Es gibt viele Studien, die evidenzbasiert nachweisen, um wieviel mehr Produktivität mit einem stärkenorientierten Führungsansatz in die Organisation gebracht werden kann.

Mentoring und Begleitung
Gerade junge Mitarbeitende sollten nicht auf sich allein gestellt bleiben. Viele Unternehmen haben daher bereits gezielt Mentoring Programme etabliert. Diese unterstützen neue Teammitglieder beim Einstieg, verkürzen die Einarbeitungszeit und fördern die Vernetzung im Unternehmen. Besonders wirkungsvoll sind sogenannte „Reverse Mentoring“ Modelle: hier geben jüngere, digital versierte Mitarbeitende ihr Wissen an erfahrene Kolleg*innen weiter und profitieren zugleich vom Erfahrungsschatz ihrer Mentor*innen. Auf diese Weise bleibt wertvolles Know How auch beim Übergang in den Ruhestand im Unternehmen, während gleichzeitig ein dynamischer Wissensaustausch zwischen den Generationen stattfindet. Auch hier zeigt die Datenlage in Bezug auf die Motivation eindeutig nach oben.
Vereinbarkeit & Lebensphasenorientierung
Mehr als 70 % der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren arbeiten in Österreich in Teilzeit. Besonders in den westlichen Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg zählt die Teilzeitquote zu den höchsten in der gesamten EU. Diese Tatsache beeinflusst nicht nur die Karrierechancen von Frauen erheblich, sondern hat vor allem langfristige, oftmals ungünstige Auswirkungen auf die spätere Pensionshöhe. Die Ursachen dafür sind vielfältig, einfache Patentlösungen gibt es nicht. Doch bereits heute setzen erfolgreiche Unternehmen auf lebensphasenorientierte Arbeitsmodelle und ermöglichen Menschen mit Familien- oder Pflegeverantwortung mehr Flexibilität. Vereinbarkeit betrifft letztlich uns alle: Mütter und Väter, ebenso wie Personen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen. Flexible Arbeitszeitmodelle wie Arbeitszeitkonten, betriebliche Kinderbetreuung (besonders auch in den Ferien), „Führung in Teilzeit“ oder „Job Sharing“ sind Beispiele für Maßnahmen, die in der Praxis bereits erfolgreich umgesetzt werden.

Der Fachkräftemangel wird weiterhin eine zentrale Herausforderung bleiben, die entschlossenes Handeln erfordert. Zahlreiche praxiserprobte und wissenschaftlich fundierte Ansätze stehen bereits zur Verfügung und bieten erfolgversprechende Lösungswege. Entscheidend ist jedoch, dass die Bedeutung von zeitgemäßer Personalarbeit und wirkungsvoller Führung auf allen Ebenen erkannt und aktiv gelebt wird. Beides sollte als zentrale Voraussetzung für nachhaltigen Unternehmenserfolg verstanden werden. Wir haben im Bezirk großartige Unternehmen und Betriebe. Viele davon haben keinen Fachkräftemangel, weil Maßnahmen wie die oben genannten längst eine Selbstverständlichkeit sind. Das bewusste Bekenntnis zur Förderung von Mitarbeitenden, zu stärkenorientierter Führung und zu lebensphasenorientierten Arbeitsmodellen ebnet den Weg, um den Herausforderungen des Arbeitsmarkts und vor allem dem Fachkräftemangel zu trotzen.