Victoria braucht keine Worte
Österreichweit gehört Victoria Kirchmair zu den wenigen Gehörlosen, die im Pflegesektor arbeiten. Der Weg dorthin war nicht einfach.
St. Johann | Die Bewohner des Pflegeheimes winken Victoria wie selbstverständlich zu, als sie den Raum betritt. Es wird kein Wort gesprochen - Worte werden in Victorias Welt auch nicht benötigt.
Victoria ist von Geburt an gehörlos. In der Welt der Hörenden findet sie sich dennoch zurecht. Seit 1. März arbeitet die 30-Jährige im Pflegeheim St. Johann. Am 11. November hat sie die zweijährige berufsbegleitende Ausbildung zur Pflegehelferin mit Bravour abgeschlossen. Vier Dolmetscher begleiteten sie während ihrer Ausbildung. Ab Dezember wird die 30-Jährige als Vollzeitkraft eingesetzt. Österreichweit gehört Victoria damit zu den wenigen Gehörlosen, die im Pflegesektor arbeiten.
Sieben Jahre lang um Ausbildung gekämpft
Und der Weg dorthin war nicht einfach. Victoria ist in Innsbruck geboren. Nach Abschluss der Pflichtschule machte sie eine Lehre als Floristin. „Der Job war nicht mein Traumberuf, aber eigentlich ganz schön. Mein Traumberuf war Behindertenbetreuerin oder Altenpflegerin. Ich wollte schon immer mit Menschen arbeiten“, erzählt Victoria. Sieben Jahre lang kämpfte sie um eine Ausbildung. „Die Caritas hat meine Ansuchen immer wieder abgelehnt. Laut der Caritas verbietet das Gesetz die Ausbildung wegen ungeeigneter körperlicher Eignung“, so Victoria. Sie werde nie vergessen, wie die Dame von der Caritas gefragt hat: „Wie kann eine Gehörlose im Heim arbeiten? Und wie kann sie hören, wenn ein Bewohner aus dem Bett fällt?“.
„Gehörlosigkeit stellt keinen Nachteil dar“
Victoria kann es nicht hören, aber fühlen. Mithilfe eines Handys, das vibriert, wird sie alarmiert. Auf dem Display ist die Zimmernummer zu lesen. Die Dienstübergaben erfolgen in schriftlicher Form. Victoria kann einer Konversation mit Hilfe von Lippenlesen von bis zu vier Menschen folgen. Zu den Teambesprechungen wird eine Dolmetscherin hinzugezogen. „Gehörlosigkeit stellt keinen Nachteil dar, ich würde mir wünschen, dass mehr meiner Mitarbeiter ihre anderen Sinne so gut ausgebildet hätten“, betont Heimleiter Matthias Pfanner.
Verständigung erfolgt auf einer anderen Ebene
Wie funktioniert die Verständigung mit einem Menschen, der nicht hören kann? „Die Bewohner haben schnell verstanden, dass sie mit Victoria anders kommunizieren müssen. Sie stampfen und klopfen zum Beispiel. Vibrationen nimmt sie sehr schnell wahr“, erklärt Pfanner.
„Reaktionen sind positiv“
Bewohner und Angehörige reagieren auf die gehörlose Pflegehelferin durchwegs positiv. „Victoria hat einen anderen Umgang mit den Bewohnern, besonders zu Demenzkranken findet sie schnell Zugang und die Bewohner schätzen sie auch sehr, so meinte eine 90-jährige Dame an ihrem zweiten Arbeitstag bei uns, dass wir auf Victoria aufpassen müssen, weil sie etwas Besonderes ist“, erzählt Pfanner.
Victoria will weitere Ausbildungen machen
Victoria, die seit 2011 auch Trainerin für gebärdenunterstützte Kommunikation ist, will noch weitere spezifische Ausbildungen im Bereich Altenpflege machen. Sie fühlt sich wohl im Heim in St. Johann und will hier auch bleiben - zur Freude ihres Chefs, der sie weiterhin unterstützen möchte. „Victoria hat fachlich keine Defizite. Sie kann alles in der Pflege machen. Auch im Nachtdienst wird sie eingesetzt“, erklärt Heimleiter Pfanner, „es braucht nur ein wenig Mut dazu.“ Johanna Monitzer