Wer uns nicht nennt, ignoriert uns
Renate Magerle sprach mit dem Kitzbüheler Anzeiger über Diskriminierung, Binnen-I und wo es bei der Gleichstellung der Frauen noch happert.
St. Johann | Einige werden Renate Magerle noch aus Schulzeiten kennen. 15 Jahre lang unterrichtete die Wirtschaftspädagogin an der Bundeshandelsakademie Kitzbühel. Seit jeher setzt sie sich für die Belange von Frauen ein. Durch ihr Engagement entstand das Mädchen- und Frauenberatungszentrum in St. Johann. Mit dem Erreichen des Pensionsalters ist für die Mutter zweier Söhne aber noch lange nicht Schluss, getreu ihrem Motto „Denn selbst am Abend ist der Tag noch nicht vorbei!“.
Am 15. August wird das Frauenfest in St. Johann gefeiert. Gibt es für die Frauen im Bezirk einen Grund zum Feiern?
Beinahe jede Frau findet in ihrem Leben den einen oder anderen Grund zu feiern: die Hochzeit, die Geburt eines Kindes oder Anlässe im Familien- und Freundeskreis. Am 15. August findet jährlich „Mariä Himmelfahrt“ oder „Mariä Aufnahme in den Himmel“ statt, es ist eines der ältesten christlichen Hochfeste.
Wie schätzen Sie die Situation der Frauen im Bezirk ein. Gibt es viele Benachteiligungen?
Rechtlich sind Frauen den Männern gleichgestellt. Unterschiede gibt es jedoch bei den Gehältern: Standort, Unternehmensgröße und Branche haben einen Einfluss auf das Gehaltsniveau. In unserem Bezirk sind Frauen im Handel oder in Pflegeberufen tätig und diese typischen Frauenberufe sind eben nicht besonders gut bezahlt!
Wie kann man Frauen fördern, ohne die Männer zu benachteiligen?
Frauenförderung ist Teil der EU-Richtlinie zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Frauenförderung soll die Chancen von Frauen in männerdominierten Berufen sowie in höherwertigen Positionen erhöhen. Eine befristete Bevorzugung von Frauen gilt nicht als Diskriminierung von Männern, sofern Frauen ebenso qualifiziert sind.
Ein Aspekt in der Frauenförderung ist die Angleichung der Löhne und Gehälter für Frauenarbeit im Sinne der Gleichwertigkeit, denn es ist immer noch so, dass Berufe, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, geringer entlohnt werden als Tätigkeiten, die vorwiegend von Männern ausgeführt werden – damit benachteiligt man die Männer ja nicht!
Sie haben das Mädchen- und Frauenberatungszentrum ins Leben gerufen. Worin liegt die Hauptaufgabe des Zentrums?
Wir begleiten Mädchen und Frauen in schwierigen Lebenssituationen. Dabei bieten wir kostenlose psychosoziale und rechtliche Beratung, Finanzcoaching und Notwohnungen für Frauen und deren Kinder.
Haben Sie das Gefühl, dass die Frauen „stärker“ werden oder lassen sie sich wieder mehr gefallen?
Sie werden nicht „stärker“, ich habe das Gefühl, dass die Tabuisierung von nicht gelingenden Partnerschaften im Schwinden begriffen ist. Ob sich die Frauen mehr gefallen lassen, hängt weitgehend von ihrer Einkommenssituation ab: Ist eine Frau erwerbstätig und verfügt über „eigenes Geld“, wird sie sich eher aus einer von körperlichen und/oder psychischer Gewalt getragenen Partnerschaft lösen.
Wurden Sie je selbst diskriminiert?
Ja, das liegt schon Jahrzehnte zurück. Ich wurde trotz Besserqualifizierung im Vergleich mit einem männlichen Kollegen nicht befördert.
Wie haben Sie damals reagiert?
Ich habe gekündigt und dem Arbeitgeber meinen Grund dafür genannt. Ich habe die Kündigung nie bereut.
Als Feministin wird man oft etwas schief angeschaut – warum eigentlich?
Wenn der Feminismus für Gleichberichtigung, Menschenwürde, die Selbstbestimmung von Frauen sowie das Ende aller Formen von Sexismus eintritt, dann müssen wohl beim „Schiefschauenden“ irgendwelche diffusen Ängste vorhanden sein?
Seit Andreas Gabalier bei der Bundeshymne die Töchter „vergessen“ hat, wird diskutiert. Binnen-I: Fluch oder Segen?
Ich weiß nicht, ob Andreas Gabalier die Töchter absichtlich vergessen hat, es täte mich aber wundern, denn seine Fans sind – glaubt man den Bildern in den Medien – eher Frauen, die doch alle einmal Töchter waren? Die Diskussion darüber finde ich entbehrlich, wir haben andere Probleme in Österreich! Das Binnen-I ist für mich weder Fluch noch Segen, es wird seit über 20 Jahren verwendet und es gibt eine Reihe von Möglichkeiten geschlechtergerecht zu formulieren. Wer Frauen nicht nennt, ignoriert sie: Sprache formt das Denken und damit die Wirklichkeit. Wir Frauen haben das Recht, genauso ernst genommen zu werden wie die Männer - in der Bundeshymne und in der Sprache!#
Blicken wir in die Zukunft. Wie soll das Frauenbild in zehn Jahren ausschauen?
Mittlerweile haben laut Statistik Austria jüngere Frauen bereits ein höheres Bildungsniveau als ihre männlichen Altersgenossen. Wenn in zehn Jahren die Einkommensschere geschlossen sein wird, flächendeckende Kinderbetreuungseinrichtungen vorhanden sein werden, um Familie und Beruf vereinbar zu machen, sollte es möglich sein, in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen einen gleichberechtigten Frauenanteil zu haben. Ich glaube das aber nicht!
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, welche wären das?
1. Schöne Erlebnisse mit meiner Familie und meinem sozialen Umfeld. 2. Gesundheit, damit ich meine ehrenamtlichen Funktionen noch lange ausüben kann. 3.Von politischen Entscheidungsträgern offene Ohren und Augen für die Probleme und ein schnelleres Umsetzen von den in der Vorwahlzeit gegebenen Versprechen.
Johanna Monitzer