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Und das ist das Krump und Grad
Es ist sonderbar, dass die zwei lustigsten Zeiten des Jahres, der Kirtag und die Fasnacht, im Brauchtum des ernsten Tiroler Oberlandes mehr gefeiert werden als im lebensfrohen Unterland.
Die Unterländer Fasnacht kennt weder ein Schemenlaufen oder Scheibenschlagen noch das Huttler- oder Maschgererlaufen noch das Perchtenlaufen oder das Blochziehen. Nur ein alter Brauch, ein im Unterland eigentümliches Fasnachtsspiel, hat sich bis in die letzte Zeit in frischer Übung erhalten – die Kitzbüheler „Schnitzelbank“.
„Volksgericht“ in der Fasnacht
Die Schnitzelbank, wie sie nach einem sehr alten Herkommen alljährlich am Faschingsdienstag in Kitzbühel aufgeführt wurde, gehört zu jener Art von Volksbräuchen, die man unter der Bezeichnung „Volksgerichte“ zusammenfasst und in denen die während des vergangenen Jahres im Orte begangenen dummen Streiche, Lächerlichkeiten oder das sittliche Volksempfinden verletzende Vorkommnisse mit mehr oder weniger Witz und Bosheit öffentlich vorgeführt und dem Gespötte preisgegeben werden. Bei der Kitzbüheler Schnitzelbank geschieht dies folgendermaßen:

Auf Leiterwagen durch die Stadt
Am frühen Nachmittag des Faschingsdienstags versammeln sich die Burschen und Bürgersöhne der Stadt auf dem Bahnhofsplatz um einen Leiterwagen, auf dem sich entweder in Form eines großen Buches zusammengebunden oder als Plakate die Zeichnungen befinden, die sich auf die vorzuführenden Begebenheiten beziehen. Zur festgesetzten Stunde steigt, wer Platz findet, auf den Wagen, die anderen nebenher oder hintendrein und nun bewegt sich die ganze Gesellschaft lachend und johlend und unter großem Volkszulaufe in die Stadt und durch diese bis zum entgegen gesetzten Ende. Vor Wirtshäusern und auf besonders belebten Plätzen wird halt gemacht und werden zum allgemeinen Gaudium die mitgebrachten Bilder gezeigt und dazu erklärende Vierzeiler gesungen. Jeder Bilderbogen weist zuoberst folgende Bilder auf: eine krumme und gerade Linie, ein Wagenrad, ein Paar in entgegen gesetzter Richtung verlaufende Pfeile, zwei Lichtputzscheren und eine Schnitzelbank (mundartlich auch „Huanzlbank“ genannt). Mit einem Stabe auf die betreffenden Bilder zeigend, singt der Vorsänger:
Und das ist das Krump und Grad,
Und das ist das Wagenrad,
Und das ist das Hin und Her,
Und das ist die Lichtputzscher.
Das ganze Volk wiederholt dann: „Lichtputzscher, - Hin und Her – Wagenrad - Krump und Grad“ und singt darauf „O du scheane Schnitzelbank, o du scheane Schnitzelbank!“

Chronik in Vierzeilern
Und nun erst kommt die Ortschronik an die Reihe, jeder Fall, den begleitenden Vierzeilern entsprechend, in vier Bildern dargestellt. Beispielsweise war einmal der finanzielle Misserfolg der Stadtgemeinde mit ihrem aus einem Sägewerk umgebauten Elektrizitätswerk so thematisiert: 1. eine Sägemühle, 2. ein umgekehrter Geldbeutel, aus dem Sägespäne fallen, 3. ein Blitzstrahl, 4. der Mond. Die dazugehörenden Verse lauteten:
1. Und das ist a Mühl und a Sag,
2. Und das ist der Reinertrag,
3. Und das ist die Elektrizität,
4. Wenn der Mond am Himmel steht.
Und das Volk sang nach:
„„….am Himmel steht – d’ Elektrizität- der Reinertrag - und a Mühl und a Sag’ und „ O du scheane Schnitzelbank, o du scheane Schnitzelbank!“
Auf ein missglücktes „ Fensterln“ bezogen sich die folgenden Bilder und Verse:
1. Ein Gasslbub steht vor einem Fenster, 2. ein Nachttopf wird über ihn ausgeschüttet, 3. er läuft triefend davon, 4. droht mit geballten Fäusten Rache. Dazu das Lied:
1. Da is einer ans Fenster gangen,
2. Und da kriegt er einen Guss durch die Fensterspangen,
3. Und da is er tauft und schleicht davon,
4. Er denkt sich: Warte, Hexe, ich krieg dich anders dran.
Ochsenzem und Busenwasser
In gleicher Weise wurde ein Wirt behandelt, der in Kitzbühel eingeheiratet und sich dadurch unbeliebt gemacht hatte, dass er in seinem Gasthause eine besonders strenge Ordnung einführen wollte und streitende Gäste mit dem Ochsenzem behandelte, oder ein Ballstreik der Kitzbüheler Mädeln, die gegen eine von der Männerwelt auffallend bevorzugte Geschlechtsgenossin gerichtet war, oder die Geschichte einer Wirtstochter, die das Busenwasser, das sie sich von Wien hatte kommen lassen, trank und davon so krank wurde, dass sie den Arzt rufen und ihm beichten musste usw. 2)
Nach Abspielung der ganzen Vortragsordnung wird, ehe sich der Zug weiterbewegt, vor Wirtshäusern Wein und Schnaps auf den Leiterwagen hinaufgereicht und unter allerlei Ulken und Späßen getrunken.
Behördliches Verbot
Während früher von den Veranstaltern, die meist den Bürgerkreisen angehörten, auf strenge Beobachtung der althergebrachten Form und auf Hintanhaltung gröblicher Ausartungen gesehen wurde, ließen infolge Einmischung unberufener Elemente die Schnitzelbankaufführungen der letzten Zeit in beiderlei Hinsicht viel zu wünschen übrig, so dass sich die Behörde veranlasst sah, sie zu verbieten, hoffentlich nicht für immer.
Ein Verfall dieses Brauches wäre umso mehr zu bedauern, als er sich nur in Kitzbühel erhalten zu haben scheint: wenigstens konnte ich keinen anderen Ort erfragen, wo diese Art von Schnitzelbank noch besteht. Am nächsten kommen ihr noch die so genannten „“Guggersloch-Aufführungen“ im Zillertal, die auch in der Faschingszeit, aber in Wirtshausstuben und in der Weise stattfinden, dass die Bilder unter Absingung von Vierzeilern durch ein Guckloch besichtigt werden. Gucklochkasten sollen zuweilen auch in Kitzbühel zur Verwendung gekommen sei. Ähnlicher Art dürften die für andere Unterinntaler Orte (Jenbach, Brixlegg, Angath) aus älterer Zeit gemeldeten Schnitzelbankspiele gewesen sein.
Häusliches Gesellschaftsspiel in Schwoich
Stark übereinstimmend mit der Kitzbüheler Schnitzelbank finden in mehreren Orten der Westschweiz (u. a. Basel) öffentliche Aufführungen an einem der letzten Faschingstage unter dem Namen „Schnitzelbank“ statt. Gruppen Maskierter tragen Spottbilder herum und singen dazu in Abwechslung mit dem Volk einen Gesang, dessen Anfang „ Is das nit a schöne Schnitzelbank“ und dessen immer wiederkehrender Schluss „O du schöne Schnitzelbank!“ lautet.
Was der Kitzbüheler und der Schweizer Schnitzelbank mit ihrem öffentlichen und ihrem volksgerichtlichen Charakter unterscheidet sich nicht unwesentlich eine andere Art, die wir „Schwoicher Schnitzelbank“ nennen. Dort versteht man darunter ein häusliches Gesellschaftsspiel, das an keine bestimmte Gelegenheit und Jahreszeit gebunden ist.
Das Spiel ist mit unwesentlichen Abänderungen in den Alpen, in Tübingen und Norddeutschland, in den Niederlanden und in Ungarn bekannt. Die große Verbreitung verleiht dem Spiel das Gepräge eines Volksbrauchs und ein hohes Alter.3)
1) Rudolf Sinwel (1885 Kufstein – 1947 Innsbruck) Handelsakademieprofessor, begeisterter Heimatforscher mit Schwerpunkt Unterland, begründete 1920 die „Tiroler Heimatblätter“, die zuerst als Beilage im „Tiroler Grenzboten“ in Kufstein erschienen und seit 1923 eine selbstständige Monatsschrift des Vereins für Heimatschutz in Tirol sind. In Heft 2 des 11. Jahrgangs (1933) veröffentlichte Sinwel den Beitrag „Die Schnitzelbankspiele“. Hier wird vor allem auf die Kitzbüheler Form eingegangen.
2) Der Autor dankt u.a. Kommerzialrat Josef Herold in Kitzbühel und Schuldirektor Josef Gapp in St. Johann für Unterstützung.
In der Nachkriegszeit bemühten sich Toni Praxmair sen., Carl Planer, Siegfried Perger, Hans Pichler und Andreas Feller und die Stadtmusik besonders um die Fortführung der Tradition. Zuletzt war der Volksschauspieler und Buchautor Franz Berger als Zeichner tätig. Aufführungen gab es bis 2014.
3) Im „Kitzbüheler Anzeiger“ berichtete im Februar 1964 ein Leser S.F. über eine „Kitzbüheler Schnitzelbank“- Einrichtung in einem bayrischen „Hofbräuhaus“ in Washington D. C.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die „Schnitzelbank“ von 1950 bis 1953 und nach einer langen Pause 1970 und 1971 ohne den früheren Umzug wieder aufgenommen. Text: Von Rudolf Sinwel