
Ort der Woche: Richard Foidl, der Glockengießer von Waidring
Wer die Werkstatt von Richard Foidl betritt, merkt schnell: Hier zählt kein Glanz, hier zählt das Handwerk. Eine feine „Rußschicht“ liegt über allem – über Werkzeug und Formen, über Paletten voller Glockenbronze und über den Glocken. An den Wänden hängen Erinnerungen – an Generationen, die vor ihm schon Glocken gegossen haben. Und mittendrin steht er: Richard Foidl - hochkonzentriert, ruhig, mit den Händen tief in der Arbeit. „Das Glockengießen“, sagt er, „ist nichts für Eilige. Da brauchst du Geduld – und Gefühl.“
Seit 1870 wird in der Familie Foidl gegossen, mittlerweile in fünfter Generation. In Waidring ist das Glockengießen fast so sehr Zuhause wie der Klang der Kirchenglocke selbst. „Mein Großvater hat mir alles beigebracht“, erinnert sich Richard. „Er hat mir gezeigt, dass man beim Guss nicht einfach Metall formt, sondern etwas Lebendiges erschafft.“
Alle(s) aus einem Guss
Dass das Handwerk so selten geworden ist, macht seine Arbeit umso bemerkenswerter. In ganz Tirol gibt es gerade einmal vier aktive Glockengießer – zwei davon hier in Waidring. Richard Foidl und sein Cousin, der die Gießerei Lugmair führt. Früher gab’s Uneinigkeiten, was die Fortführung des großväterlichen Betriebs betrifft. Heute verbindet sie gegenseitiger Respekt. „Wir haben beide unseren Weg gefunden. Jeder gießt seine Handschrift – im wahrsten Sinn des Wortes.“ Konkurrenz? Fehlanzeige. „Bei uns hat jeder genug zu tun. Und am Ende zählt, dass das Handwerk weiterlebt.“
Das Geheimnis des Gusses
Der spannendste Moment beim Gießen ist der, den kaum jemand zu Gesicht bekommt. Und wenn’s nach Richard geht, soll das auch so bleiben. Denn beim eigentlichen Guss darf niemand dabei sein. „Das ist etwas sehr Persönliches. Da brauchst du Ruhe, Konzentration und... ein bisschen Aberglauben“, sagt er mit breitem Grinsen. Denn, so erzählt er weiter: „Glockengießer sind abergläubisch – seit jeher. Viele schwören darauf, nur freitags um 15 Uhr zu gießen, zur Sterbestunde Christi“. Auch Richard hat seine festen Rituale. Die Luftfeuchtigkeit muss passen, die Stimmung, die Temperatur. „Wenn du da nicht hundert Prozent bei dir bist, kann’s schiefgehen. Und bei 1.100 Grad heißer Bronze willst du keinen Fehler machen.“
Ein bisschen Nervenkitzel gehört also dazu. Und wenn das glühende Metall dann fließt, ist das jedes Mal Adrenalin pur. „Da vergießt du nicht nur Bronze, sondern auch die eine oder andere Schweißperle“, erzählt er augenzwinkernd.
Jede Glocke ein Unikat
Wenn die Form gebrochen wird und die neue Glocke zum Vorschein kommt, ist das für Richard jedes Mal wie eine kleine Geburt. Wochen, manchmal sogar Monate steckt in einem einzigen Stück – von der Idee über die Ornamentik bis zum letzten Schliff. „Jede Glocke hat ihren eigenen Charakter. Sie soll nicht nur klingen, sondern auch berühren.“
Er redet viel mit seinen Auftraggebern, hört Geschichten, Familienerinnerungen, Wünsche. „Je länger das Gespräch, desto persönlicher wird die Glocke“, sagt er. Widmungen, Inschriften, Symbole – alles Handarbeit, alles mit Liebe gemacht. Das ist es auch, was die Glocke dann so besonders macht: Sie ist nicht einfach nur ein Werkstück, sondern ein Stück sichtbar gewordene Familiengeschichte.
Waidring ohne Glocken? – kaum vorstellbar. Der Klang gehört zum Dorf, wie der Blick auf die Steinplatte. Und genau das spürt man im „Glockendorf Tirol“, an dessen Umsetzung Richard Foidl maßgeblich beteiligt war. Die Idee dahinter: das jahrhundertealte Wissen des Glockengießens nicht nur zu bewahren, sondern auch erlebbar zu machen – als Klang, Ritual und Berührungspunkt. Heute kommen Besucher aus der ganzen Welt, um in der Glockenwelt im Biatron zu lernen, zu lauschen, zu fühlen – und: um zu verstehen, was eine Glocke wirklich ist: ein Klangkörper, eine Geschichte, ein Stück Seele. Zum Glockendorf gehört auch der Glockenwanderweg, der die Besucher zu den schönsten Klangorten Waidrings begleitet. Die Pfarrkirche beherbergt zudem die viertgrößte Glocke Tirols – ein Symbol dafür, wie tief der Klang hier verwurzelt ist. Seit 1997 führt Richard Foidl nun seine eigene Gießerei – ein Ein-Mann-Betrieb, in dem alles aus einem Guss ist: Arbeit, Leidenschaft, Handwerk und Herz.
Feuer, das weitergegeben werden will
Auch Lehrlinge hat er bereits ausgebildet. Aber, so erzählt er: „Das Modellieren, das Formen – das kann man nicht lernen. Das musst du fühlen. Das steckt in dir.“ Und wer weiß, sinniert er weiter „vielleicht übernimmt eines Tages meine Tochter, die schon jetzt ein gutes Gespür zeigt, aber Druck mach ich natürlich keinen“.
Während draußen die Kirchenglocke läutet und ihr Klang über das Dorf zieht, steht Richard Foidl in seiner Werkstatt, wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut auf seine Arbeit. Eine Glocke, die bald irgendwo läuten wird – und lange nachhallt. Genau wie das Gespräch, das ich mit dem Meister führen durfte.