
Oberndorf: Wo die Erde Geschichten erzählt
Wer heute durch das sanfte Bichlach bei Oberndorf spaziert, sieht grüne Wiesen, Wälder und einen idyllischen Lehrpfad. Nur wenige Hinweistafeln deuten darauf hin, dass hier einst eines der bedeutendsten Bergbaugebiete Tirols lag. Unter der Oberfläche des Rerobichl wurde über Jahrhunderte hinweg nach Silber- und Kupfererzen gegraben – und die Region dadurch tief geprägt.
Aufstieg im 16. Jahrhundert
Die Geschichte des Oberndorfer Bergbaus beginnt um 1539. Damals entdeckten Knappen silberführende Erze, und in kurzer Zeit wurden hunderte Schürfrechte vergeben. Schon bald entwickelte sich der Rerobichl zu einem der wichtigsten Reviere Tirols. In Spitzenzeiten arbeiteten bis zu 2.000 Menschen in den Stollen.

Eine technische Meisterleistung war der Heilig-Geist-Schacht: Mit 886 Metern Tiefe lag sein unterstes Niveau sogar 140 Meter unter dem Meeresspiegel, und er galt bis 1870 als tiefster Schacht der Welt. Die Arbeit war hart, gefährlich und von ständigen Wasserproblemen begleitet – doch der Glanz des Silbers lockte Generationen von Knappen.
Blüte und Niedergang
Die große Zeit des Rerobichl dauerte rund zwei Jahrhunderte. Zwischen 1540 und 1774 war Oberndorf ein Zentrum des Tiroler Erzabbaus. Doch mit sinkender Ausbeute, hohen Kosten und schweren Unglücken endete 1774 der systematische Abbau. Spätere Versuche einer Wiederaufnahme (1851–1867, 1908–1916, 1952–1955) blieben erfolglos. Von diesem letzten Versuch zeugen noch heute die Überreste von Förderturm, Maschinenhaus und Knappenunterkünften.
Auch ein südafrikanisches Projekt 1969/70 scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Damit die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, gründete sich 2014 der Knappenverein Rerobichl-Oberndorf. Mit viel Engagement betreibt er ein kleines Bergbaumuseum im Pflegeheimkeller – mit Werkzeugen, Grubenplänen, Mineralien und Modellen.
Lehrpfad & Museum als lebendige Erinnerung
Die Vergangenheit wird auch am Bergwerks-Lehrpfad Rerobichl spürbar: Auf 3,5 Kilometern wandert man durch Wälder und Wiesen, vorbei an alten Halden und verborgenen Stollen. Tafeln erzählen von harter Arbeit, Schicksalen der Knappen und der Bedeutung des Erzes für die Region. Ein Spaziergang, der für Einheimische wie Gäste, für Jung und Alt gleichermaßen spannend ist.
Der Bergbau ist heute keine Lebensgrundlage mehr – doch er ist tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Er erinnert daran, wie eng Natur, Arbeit und Überleben in der Region miteinander verflochten waren. Die Knappenvereine in der ganzen Region sorgen dafür, dass Tradition, Erinnerung und Wissen nicht verloren gehen.
So erzählt die Erde in Oberndorf noch immer ihre Geschichten – man muss nur aufmerksam zuhören, wenn man über den Rerobichl spaziert.

Wusstet ihr schon...?
- Das Gemeindewappen von Oberndorf trägt noch heute Bergbau-Symbole: einen goldenen Berghäckel und den tiefen Schacht in Rot und Schwarz.
- Schon früh nutzte man Wasserräder, um Erz und Grubenwasser zu fördern – eine technische Pionierleistung.
- In den tiefsten Stollen konnte man höchstens eine Stunde arbeiten – die Bedingungen waren lebensfeindlich.
- Nach Knappenaufständen zwischen 1567 und 1606 gelang es, die Arbeitszeit von bis zu 18 Stunden auf 6 bis 8 Stunden zu begrenzen – ein früher Vorläufer moderner Arbeitergesetze.
- Knappen erhielten „Pfennwerte“: Lebensmittel, Werkzeuge und Kleidung zu fairen Preisen, außerdem verbesserte man Sicherheitsvorkehrungen.
- Rund 700 Bergleute starben bei Grubengasexplosionen.
- Bei der Nepomuk-Kapelle kamen die Knappen zur Wallfahrt zusammen – seit 2015 wird dieser Brauch wiederbelebt, jedes Jahr am 16. Mai pilgern Knappschaften aus mehreren Gemeinden der Region dorthin.
- Insgesamt wurden am Rerobichl 100 Tonnen Silber und 20.000 Tonnen Kupfer gewonnen – ein heutiger Wert von rund 231 Millionen Euro.
- Das Silber ging nach Hall in Tirol, wo es zu Münzen geprägt wurde.
- Kein Geringerer als Herbert von Karajan heiratete 1964 seine Frau Eliette in der kleinen Bergkapelle am Rerobichl.