
Lebensader Großache – vom Hochwasser bis zum Flußerlebnisweg
Es sind Momente, die die Altbürgermeister von Kirchdorf, Ernst Schwaiger, und von Kössen, Stefan Mühlberger, nicht mehr vergessen. Der eine war federführend bei einer der größten Flußbaustelle involviert, der andere musste eine der größten Hochwasser-Katastrophen, die der Bezirk jemals erlebte, bewältigen. Im Rahmen des 75-jährigen Jubiläums des Anzeigers erinnern sich sich zurück:
Den 10. August 1996 wird Alt-Bürgermeister Ernst Schwaiger nicht mehr vergessen – an diesem Tag fiel in Kirchdorf direkt an der Großache der Startschuss für eine der größten Flussbaustellen Europas. Den traditionellen ersten Piloten schlug damals u.a. Alt-LH Wendelin Weingartner mit ein. Wichtigstes Ziel war der Schutz vor Hochwasser, jedoch sollte die Großache auch zum Naherholungsgebiet werden. Insgesamt wurden bis Ende der 2010er-Jahre rund 50 Millionen Euro in die Schutzmaßnahmen investiert.
Federführend waren bei Planung und Bau die Verantwortlichen der Großachengenossenschaft. Diese wurde als Zwangsgenossenschaft für den Wasserbau bereits im Jahr 1905 in Kössen aus der Taufe gehoben. Alle Grundbesitzer entlang der Großache in den Gemeinden Kössen, St. Johann, Kirchdorf und Oberndorf sind heute noch Mitglieder. Die erste Regulierung der Großache erfolgte bereits von 1905 bis 1922. Immer wieder kam es jedoch über die Jahrzehnte zu Hochwasser-Katastrophen mit hohen Schäden. Die Gemeinde Kirchdorf war immer wieder betroffen – daher setzten sich die Bürgermeister der Gemeinden für Schutzmaßnahmen ein. Ernst Schwaiger war nicht nur Bürgermeister, sondern ab 2001 Obmann der Großachengenossenschaft (bis 2018) und somit maßgeblich in die Umsetzung des Projektes involviert.
Erste Gespräche bereits im Jahr 1992
„Begonnen haben wir mit den ersten Vorbereitungen bereits im Jahr 1992“, erinnert sich Schwaiger zurück. Der erste große Teil des Projekts wurde im Mai 2002 abgeschlossen – der Anzeiger berichtet damals von der feierlichen Einweihung neben der neu errichteten Kapelle. „Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, Technik und Ökologie in Einklang zu bringen und auf die Bedürfnisse des Menschen nach Erholungsraum am Gewässer einzugehen – gepaart mit Einrichtungen zur Wissensvermittlung“, ist Schwaiger heute noch stolz. Die Großache wurde buchstäblich neu eingebettet und mehrere Brücken in Holzbauweise errichtet. Der damals neu gestaltete Fußerlebnisweg zwischen Kirchdorf und Erpfendorf ist nach wie vor beliebter Rad- und Wanderweg. Eine besondere Freude für die Flussbauer war übrigens eine Auszeichnung des WWF im Rahmen der Initiative „Lebende Flüsse“. So gilt das Projekt heute noch als Musterbeispiel, wie Hochwasserschutz mit Natur- und Erholungszielen verknüpft werden kann.
Zwischen Pegel und Panik
Die Großache hat sich in den letzten fast 130 Jahren durch mehrere historische Hochwasser hervorgetan –
allen voran das verheerende Jahr 2013, dass vor allem in Kössen für massive Schäden sorgte. Doch in der Kaiserwinkl-Gemeinde zeigte bereits Jahrzehnte zuvor die Großache ihre Zähne – auch wenn jenes von 2013 die größte Katastrophe seit dem Start der Pegel-Aufzeichnungen im Jahr 1897 war.
Im Juni 1959 war beinahe der ganze Bezirk vom Hochwasser betroffen, wie der Kitzbüheler Anzeiger in seiner Ausgabe vom 20. Juni 1959 berichtete. „Es gab keinen Ort im Bezirk der verschont geblieben wäre, doch ist in Aurach der schlimmste Fall eingetreten, denn dort ertrank ein 20-jähriger Melker bei den Bergungsarbeiten“, heißt es da. In Kössen war ein Damm gebrochen, die Kelchsau war tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. In Kitzbühel musste sogar eine Brücke gesprengt werden.
Die Fotos wurden vom Chronikarchiv Kössen, dem Chronikarchiv Kirchdorf sowie dem Archiv Museum St. Johann zur Verfügung gestellt.
Im Jahr 2002 war die Gemeinde St. Johann Schauplatz einer verheerenden Hochwasser-Katastrophe. Nach tagelangen schweren Regenfällen trat die Goinger Ache über die Ufer und überschwemmte den Bereich Taxa. Eine Siedlung stand komplett unter Wasser – die Aufräumarbeiten dauerten Wochen, die Schäden gingen in die Millionen.
Danach wurden die Schutzmaßnahmen entlang der Achen massiv ausgebaut. Nach dem Hochwasser 2013 in Kössen wurde dafür erneut viel Geld in die Hand genommen
Eine Flut der Hilfe nach der Katastrophe
Auch über zehn Jahre nach der verheerenden Hochwasser-Katastrophe sind die traumatischen Ereignisse in Kössen noch präsent. Vor allem für Alt-Bürgermeister Stefan Mühlberger war die Bewältigung der Katastrophe die größte Herausforderung seiner Karriere. Im Gespräch mit dem Anzeiger denkt er an die intensiven Wochen im Juni 2013 zurück. „Es hat damals bereits tagelang geregnet, als ich an diesem 1. Juni knapp vor Mitternacht von der Feuerwehr alarmiert wurde, dass es am Loferbach eine Brücke weggerissen hat“, erinnert er sich. Rasch sei klar gewesen, dass vor allem der Ortsteil „Erlau“ evakuiert werden muss. „Mittels Lautsprecher-Durchsagen haben wir die Leute noch in der Nacht aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Im Altenwohnheim haben wir Notunterkünfte eingerichtet“, schildert Mühlberger die dramatischen Minuten. Alle die ihnen zuerst einen Vogel gezeigt hatten, „haben ihre Häuser dann nur wenige Stunden später, vom ersten Stock aus, mit dem Boot verlassen.“
„So schnell es gekommen ist, ist das Wasser auch wieder weggegangen“, erzählt der heutige Gemeindechronist. Doch dann war das Ausmaß der Katastrophe erst richtig ersichtlich, die Menschen verzweifelt. „Da sind die Emotionen schon hochgekocht.“ Die Leute hätten dann dauernd bei ihm angerufen, wo denn die Hilfe bliebe. „Ich hatte ja mit so etwas keine Erfahrung und musste es doch gleich regeln“, sei er panisch gewesen.
Was sich Mühlberger auch nicht vorstellen konnte, „dass wirklich alles was in den betroffenen Häusern war, total kaputt ist. Die Müllberge – wir haben diese dann am Bergbahnparkplatz zwischengelagert – waren unvorstellbar.“
400 Objekte betroffen, 50 Mio. Euro Schaden
Über 400 Objekte waren betroffen, viele vorerst gar nicht mehr bewohnbar. Die Schadenshöhe, die erst Wochen später feststand, lag bei 50 Millionen Euro.
Auf Kössen rollte eine Welle der Solidarität zu, die ihresgleichen suchte und die Mühlberger heute noch überrascht. „Ich wusste vorerst gar nicht,wie ich damit umgehen soll.“
Doch er bekam unverhofft Unterstützung. „Der damalige Bürgermeister von Pfunds war unter den Helfern, die aus ganz Tirol gekommen sind, um uns unter die Arme zu greifen.“ Dieser hatte ein Jahr zuvor eine ähnliche Katastrophe zu bewältigen und teilte mit Mühlberger seine Erfahrungen. Erste Hilfsgelder gingen da schon in der Gemeinde ein. „Er hat uns damals Tipps gegeben, wie wir das mit den Spendengeldern organisieren sollen.“
Die Spendenbereitschaft sei enorm gewesen – in Millionenhöhe gingen die Gelder ein. Da kamen Spendenaufrufe sogar von Adi Werner (Hospiz am Arlberg), Schlagerstar Semino Rossi sang für die Kössener und auch der Anzeiger half. „Wir haben ein Spendengremium mit zehn Leuten zusammengestellt, die anhand der Daten des Katastrophenfonds des Landes, die Spenden verteilt haben.“ Ein großes Fest für die Helfer gab es ebenfalls. „Es war einfach phänomenal“, erinnert sich der Alt-Dorfchef. Er und sein damaliger Vize Herbert Exenberger waren dauernd auf Achse, um sich bei den Spendern persönlich zu bedanken.
Dass es einigen Leuten zu langsam ging – vor allem die mit den notwendigen Hochwasserschutzmaßnahmen – ist für Mühlberger, der sich so für „seine“ Kössener eingesetzt hat, noch immer ein Wermutstropfen. Denn dank ihm und seiner Initiative wurde der Hochwasserschutz in Kössen deutlich beschleunigt – ganze acht Jahre früher als geplant, waren die Arbeiten abgeschlossen. In der „Erlau“ indes erinnert nichts mehr an die Katastrophe, die vor zwölf Jahren das Leben so vieler verändert hat.