
Ein Abend rund ums Federlesen
Am Maurachhof in Kitzbühel drehte sich die Sommerausstellung von Kunstbühel+ weiter – mit einem literarischen Abend, der Worte, Klänge und Bilder auf spielerische Weise verband und den Ausstellungsort in einen federleichten Resonanzraum verwandelte. Dabei ging es nicht allein um die Texte selbst, sondern um Beispiele, wohin Sprache die Gedanken führen kann: darüber nachzudenken und über Worte zu stolpern.
Federlesen neu gedacht
Der Ausdruck „Federlesen“ geht ursprünglich auf das mühsame Abzupfen einzelner Federn zurück, eine Tätigkeit, die als kleinlich und zeitraubend galt. In der Literatur und im Sprachgebrauch wurde er früh ironisch verwendet und bedeutet in der Redewendung „kein Federlesen machen“, keine Umstände zu machen und nicht übertrieben rücksichtsvoll zu sein. Bei Kunstbühel+ wurde dieser alte Begriff neu gedeutet: Das „Federlesen“ wurde zum poetischen Programm, in dem Genauigkeit und Leichtigkeit, Schärfe und Schweben zusammenkamen.
Drei Ausdrucksformen im Hühnerkarussell
Monika Rinck, eine der bedeutendsten Lyrikerinnen im deutschsprachigen Raum, las ausgewählte Passagen aus ihrem neu erschienenen Band „Höllenfahrt & Entenstaat“. Darin begegneten dem Publikum eigenwillige, bildstarke Szenen: Amöben, müde Figuren und kleine Seelenreigen, ein nebliger Morgen und der „Duft von Dingen mit Z“ wie Zitrone und Zirbe. Eine herrische, beinahe despotische Ente regierte ein absurdes Opernreich, das schließlich in einem Schwanengesang endete. Diese kraftvolle Fantasiewelt passte perfekt zum Bild des Hühnerkarussells, das sich zwischen Boden, Ernst und poetischem Flug bewegte.
Claudia Hamm, vielfach ausgezeichnete Übersetzerin, Essayistin und Theaterregisseurin, brachte mit ihrer Übertragung ins Deutsche von Yasmina Rezas „Die Rückseite des Lebens“ die feine Klangstruktur der Sprache zum Vorschein. Sie machte spürbar, wie sich beim Lesen Muskeln unwillkürlich bewegten, sich die innere Stimme formte und das Vorwissen mitschwang – ein Echo des „Federlesens“, das hier Sorgfalt und Leichtigkeit zugleich bedeutete.
Johannes Gasteiger, Musiker aus Kitzbühel und Überraschungsgast des Abends, schuf mit kurzen, frei improvisierten Stücken leichte Übergänge, die den Texten zusätzlichen Raum gaben – sodass die Worte sich wie auf Flügeln weitertrugen und das Publikum spürbar beschwingt wirkte.

Ein Abend voller Stimmen und Texte
Die Lesung insgesamt zeigte sich flatterhaft und vielfältig: Neben den Beiträgen von Monika Rinck und Claudia Hamm wurden auch Beispiele aus anderen Werken aufgenommen, um die Möglichkeiten der Sprache zu zeigen. So kamen Jevgenia Belorusets’ Beobachtungen aus „Über das moderne Leben der Tiere“ ebenso zur Sprache wie Amélie Nothombs „Psychopompos“. Vinciane Despret eröffnete in „Wie der Vogel wohnt“ neue Perspektiven auf die Eigenarten des Gefiederten, Peter Krauss führte in „Singt der Vogel, ruft er oder schlägt er?“ in die Kulturgeschichte des Fliegens ein und Traudi Ritter stellte die Vogelarten im Kitzbüheler Stadtgebiet vor.
Der Schauplatz selbst fügte sich in die Bildsprache des Abends: Gefundene Federn vom Maurachhof wurden im Raum verteilt und Teil des poetischen Spiels. Wie Tauben sich beim Fliegen unter anderem an Düften orientieren, so ließen sich die Lyrikerinnen von sprachlichen Duftnoten leiten. Worte wurden zu Federn, Lesende zu Reisenden – und das Publikum hob gemeinsam ab.