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Kitzbüheler Anzeiger

„Der Glaube an PISA ist gespenstisch“

Konrad Paul Liessmann liest am 9. Juni aus seinem aktuellen Buch „Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung“ in St. Johann.  Das Thema Schule und Bildung interessiert, denn die Karten für die Lesung sind schon lange ausverkauft. Es gibt nur noch die Möglichkeit sich auf eine Warteliste setzen lassen. Der vielbeschäftigte Autor nahm sich vor der Lesung für den Kitzbüheler Anzeiger Zeit und stand ihm Rede und Antwort.

Sie vergleichen die Bildungspraxis in Österreich mit einer Geisterstunde. Können Sie mir in wenigen Sätzen erklären, was aus ihrer Sicht so gespenstisch ist?

Gespenstisch sind für mich die Ersetzung von Wissen durch Kompetenzorientierung, der Glaube an PISA, die Vorstellung, dass Schule alle sozialen Probleme lösen kann, die einseitige Fixierung von Bildung auf Nützlichkeit, die Inszenierung von künstlichen Wettbewerben durch unnötige Tests, die permanenten Selbsttäuschungen durch eine hohle Reformrhetorik.

Sie lassen in ihrer Streitschrift auch viele Experten zu Wort kommen. Zitieren aus anderen Publikationen. Wie haben Sie sich für das Buch vorbereitet?

Natürlich lese ich viele Bücher und Aufsätze, die sich mit Bildungsfragen beschäftigen. Die eigentliche Vorbereitung aber lag in den Erfahrungen, die ich selbst in den letzten Jahren im Bildungsbereich gemacht habe – an der Universität, in der Lehrerausbildung, in zahlreichen Gesprächen mit Kollegen, Lehrern, aber auch Schülern

Jeder will und glaubt in Sachen Bildung mitreden zu können. Warum glauben Sie ist Bildung so ein emotionales Thema?

Einerseits sind wir überzeugt davon, dass Bildung entscheidend für den weiteren Lebensweg eines jungen Menschen ist, andererseits ist Bildung ein Bereich, mit dem jeder Mensch Erfahrungen hat. Jeder erinnert sich an seine Schule, seine Lehrer, viele haben Kinder in der Schule oder an Universitäten, fast jeder kennt einen Lehrer. Und jeder glaubt, aus seinen Erfahrungen allgemeine Schlüsse ziehen zu können.

Wird gute Bildung wieder zu einem Privileg der Reichen?

Diese Tendenz ist leider bemerkbar. Dass viele Befürworter der Gesamtschule ihre eigenen Kinder auf teure Privatschulen schicken, sollte uns zu denken geben, dass kostspielige Auslandsstudien manchen Weg ebnen können, ist bekannt. Die Krise des öffentlichen Bildungswesens wird diese Tendenzen verstärken. Ich halte das für keine gute Entwicklung, denn sie beschneidet die Chancen junger Menschen.

Dank des Internets kann jeder jederzeit und allerorts Wissen erlangen und abrufen.  Ist das ein Fluch oder Segen?

Sowohl als auch. Ich selbst genieße diese Informationsmöglichkeiten, weiß aber auch aus eigener Erfahrung, dass man viel „wissen“ muss, um mit dem Internet sinnvoll umgehen zu können. Gerade die modernen Medien nötigen uns, grundlegende Kenntnisse zu vermitteln, damit wir aus der Flut der Daten das Wichtige auswählen und beurteilen können.

Sie beklagen auch die „Verschulung“ der Universitäten. Was meinen Sie damit?

Seit der Bologna-Reform sind Studienpläne modularisiert und durchorganisiert, alles wird in ECTS-Punkten gemessen, brav wird alles abgearbeitet, für Freiheit und Neugier, für intellektuelles Risiko, also für das, was eine Universität auszeichnen soll, ist immer weniger Platz

Wie sieht die ideale Bildungsstätte für Sie aus?

Ich denke, dass Bildung letztlich in der Verantwortung des Einzelnen liegt. Bildungsinstitutionen sollen dafür angemessene Rahmenbedingen bereitstellen, sie sollen Möglichkeiten offerieren, sie sollen grundlegende Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, sie sollen zeigen, was in unserer Kultur wert ist, weitergegeben zu werden. Sie sollen junge Menschen mit Dingen konfrontieren, die diese ansonsten nicht kennenlernen würden, sie sollen neugierig und sensibel machen, sie sollen den Verstand schärfen.

Dürfen wir uns auf neue Publikationen von Ihnen freuen?

Ich hoffe schon, als nächstes wird vielleicht ein Band meiner Reden und Essays aus den letzten Jahren erscheinen.

Johanna Monitzer

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