Auch das System ist pflegebedürftig

Wir werden immer älter – und das ist natürlich toll. Vorausgesetzt, wir bleiben fit und unabhängig. Und wenn nicht? – Brauchen wir halt Hilfe. Nur von wem eigentlich? Na, von irgendwem halt. Wird ja wohl irgendwer machen. Irgendjemand mit Herz, Zeit und noch mehr Verantwortungsgefühl ...
Theorie versus Praxis
Professionelle Pflegekräfte? Ja, die gibt’s. Theoretisch. Praktisch sind sie häufig überarbeitet, unterbezahlt und unterbesetzt. Applaus für ihre Systemrelevanz gab’s lediglich in der Pandemie, jetzt gibt’s ein kollektives Schulterzucken: „Muss sich halt was ändern,“ sagen alle – Nur: Tun, tut’s halt niemand. Und während die einen weiter fleißig Strategiepapiere schreiben, kämpfen die Betroffenen mit Formularen, Pflegestufen und dem Gefühl, in einem System gefangen zu sein, das selbst Unterstützung bräuchte.
Die machen das schon
Muss halt die Familie ran. Also in den meisten Fällen die Tochter, die Schwiegertochter, die Ehefrau ... Liebevoll. Aufopfernd. Gratis! Kostet allerhöchstens die eigene Karriere, Beziehung oder Gesundheit. Pflege als Privatverantwortung? – Klar: Entlastet das System, belastet aber die Betroffenen!
Aber hey, gibt ja auch Plätze in Einrichtungen! Zumindest auf dem Papier. Doch die Wartelisten sind lang und die Pflegeheime voll. Wer trotzdem einen ergattert, erntet sofort neidische Blicke: „Wie haben die das geschafft?“ – „Die haben doch eh genug Geld!“ Klar. Und zahlen auch sicher gerne mit Kraft, Zeit und dem eigenen Privatleben drauf? ...
Und wenn‘s nicht klappt? Dann eben privat organisieren (und bezahlen). Wer Glück hat, findet tatsächlich eine liebevolle Betreuungskraft. Wer Pech hat, kriegt genau das Gegenteil. Denn wo der Bedarf größer ist als das Angebot, entstehen Grauzonen – und mit ihnen neue Sorgen. Denn wenn die 24-Stunden-Hilfe dann damit droht nicht mehr wiederzukommen, merkt man schnell, was echte Hilflosigkeit bedeutet.
In Würde altern
Klar. Das wünschen wir uns alle! Deshalb darf Pflege kein Randthema mehr sein. Schließlich betrifft sie uns alle. Wenn nicht heute, dann morgen. Niemand bleibt ewig jung. Und nicht jeder wird alt ohne Wehwehchen. Die Frage wird also nicht sein, ob wir betroffen sind, sondern wann – und unter welchen Bedingungen wir dann leben wollen? Denn Pflege ist nicht die Aufgabe von irgendwem. Sondern von uns allen. Und zwar jetzt. Nicht irgendwann.