Kitzbüheler Anzeiger
23.04.2019
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Vom Müssen, Können und Dürfen

Die Sanierung einer alten Umweltsünde auf die bloße Entsorgung zu reduzieren, schien den Verantwortlichen von Kössen zu einfach gegriffen. Aus den Relikten einer längst vergangenen Zeit wurde Neues geschaffen. Die Skulpturen erreichen genau das, was Kunst soll: Bewusst machen, zum Nachdenken anregen, einen Dialog ankurbeln. Ein kulturhistorischer Diskurs soll weitere Blickwinkel eröffnen.

Kössen | Dass Kunst immer im Auge des Betrachters liegt, ist wohl selbstverständlich. Manchmal empfindet man ein Kunstwerk als „schön“, manchmal als „interessant“ und ein anderes Mal als „abstoßend“ oder sogar „hässlich“. Kunst fungiert als Spiegel, der uns radikal unser Innerstes vor Augen hält. Ich möchte in dieser Kolumne keine „Bewertung“ der künstlerischen Arbeit vornehmen. Vielmehr möchte ich ganz objektiv Motivationen und Aufgaben von Kunst und Kunstschaffenden aufzeigen und dazu ermutigen, Themen und Motivationen von anderen Seiten zu beleuchten.

Wer sagt, dass Kunst schön sein muss?

Kunst wird immer gerne mit dem Schönen oder dem Verschönern gleichgesetzt, es entspricht aber nicht der Realität. Denn wer sagt, dass Kunst schön sein muss? Wie jede Medaille zwei Seiten hat, entstehen Kunstwerke eben nicht nur aus einer ästhetischen Motivation, sondern verfolgen meist auch gesellschaftliche, politische, soziale, materielle oder auch ökologische und ökonomische Ziele.

Nachhaltigkeit war für die meisten Künstler zu jeder Zeit – außer sie arbeiten ganz bewusst mit dem Thema der Vergänglichkeit – von großer Bedeutung. Die Pigmentwahl und das Bindemittel in den Gemälden der Alten Meister musste von bester Qualität sein, damit sie die Jahrhunderte überdauerten. In Zeiten von Ressourcenknappheit wurden nicht selten Leinwände beidseitig verwendet oder übermalt. Auch die künstlerische Arbeit mit Artefakten (aus dem Lateinischen ars, artis „Handwerk“ und factum „das Gemachte“) hat eine lange Geschichte. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts verwenden Künstler gebrauchte Materialien oder Gegenstände, ließen sich von ihnen inspirieren und stellten daraus „verrückte Kunstwerke“ her.

Marcel Duchamps „Fahrrad-Rad“ präsentierte sich als Objektcollage eines Hockers mit einem Vorderrad mit Radgabel (1913), Meret Oppenheims hatte für ihr „Frühstück im Pelz“ (1936) eine Tasse samt Untertasse und Löffel mit einem Pelz bezogen und Pablo Picasso kombinierte einen alten Fahrradsattel und eine Lenkstange zu einem „Stierschädel“ (1942). In den 1968 Jahren pries Peter Weibel marktschreierisch in München das „Tapp-und-Tastkino“ von Valie Export an. Ein Miniatur-Kinosaal, montiert am Oberkörper der Künstlerin und dessen Vorhang sich nur für zwei Hände öffnete, um den imaginären erotischen Film (also ihre nackten Brüste) mit den Händen in aller Öffentlichkeit zu ertasten.

In der Kunstgeschichte gibt es unzählige Beispiele dafür, wie Künstler die gegenständliche Wirklichkeit neu interpretieren und einer Metamorphose unterziehen. Es ist nichts Neues, dass sich Kunstschaffende mit ihrer aktuellen Umwelt auseinandersetzten, Themen der Gesellschaft aufgreifen, sich mit Ereignissen und Erlebtem beschäftigen und auf Materialien zurückgreifen, die sie umgeben.

Unter diesen Aspekten ist meiner Ansicht nach das Kunstprojekt „Transformationen+“ zu sehen. Eine Gruppe von Künstlern hatte sich zusammengefunden, um im Kollektiv oder einzeln an Reflexions-, Kommunikations- und Diskussionsprozessen teilzunehmen und diese mit ihren Ausdrucksmitteln anzuregen und zu bereichern.

Wegwerfgesellschaft

Sie führen uns deutlich vor Augen, dass wir uns seit dem Beginn des Industriezeitalters von einer „Erfindergesellschaft“ über eine „Wiederaufbaugesellschaft“ zu einer zwischenzeitlichen „Reparaturgesellschaft“ entwickelt haben und wir durch unsere „Überflusskultur“schließlich in einer „Wegwerfgesellschaft“ und „Einweggesellschaft“ gelandet sind. Genau diesen Prozess veranschaulicht das Projekt dieser Künstlergruppe.

Glücklicherweise beginnt seit dem Beginn der Moderne eine langsame, aber stetige Erkenntnis um sich zu greifen, dass die Kunst immer mehr zu einem Medium des Erkennens, Erkundens und des Veränderns der Welt wird. Toleranz ist hier von beiden Seiten gefragt.

Im Projekt Umwelt und Kunst „Transformationen+“ in Kössen wird offensichtlich, dass sich die Bezugsfelder Nachhaltigkeit und Kunst einem gemeinsamen Experimentierfeld unterzogen haben. Und es zeigt auch auf, auch wenn manche Bürger dem Ganzen kritisch gegenüberstehen, dass man mit dem richtigen Entwicklungsimpuls aus einer emotionalen und geistigen „Verengung“ einen kooperativen Weg für eine gute Zukunft finden kann.

Eröffnung am 26. April

Der Skulpturenweg „Transformationen+“ wird am 26. April um 15 Uhr bei der Staffenbrücke im Beisein der Künstler eröffnet. Foto: Dorner-Bauer

KunstBlicke
Mag. Martina Dorner-Bauer ist Kunsthistorikerin, Ausstellungskuratorin, Autorin, Betreuerin
div. Kunstsammlungen und Gründerin der Agentur DieKunstagenten.
martina@diekunstagenten.at    

 
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