Kitzbüheler Anzeiger
04.01.2021
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Trügerischer Tiefstand bei Pleiten

Tirol verzeichnet für heuer einen markanten Rückgang bei den Kommerzinsolvenzen. Ein Minus von 49,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ist gleichbedeutend mit lediglich 155 insolventen Unternehmen im Gesamtjahr 2020. Oberösterreich und Tirol liegen beim Rückgang der Kommerzinsolvenzen österreichweit gemeinsam an der Spitze.

Bezirk, Tirol  | Die Tiroler Unternehmen sind seit rund neun Monaten mit den Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert. Die heimischen Betriebe werden von den Auswirkungen der von der Regierung angeordneten Einschränkungen des Wirtschaftsverkehrs hart getroffen. Massive Unterstützungen der Betriebe durch Maßnahmen der öffentlichen Hand und langfristige Stundungen von Steuern und Sozialversicherungsabgaben erhalten Unternehmen, welche bereits vor der Covid19-Krise wirtschaftlich angeschlagen waren, künstlich am Leben.

Die detaillierte Analyse der Unternehmensinsolvenzen in Tirol zeigt nach einem außergewöhnlichen Jahr 2020 ein ungewöhnliches Bild: Trotz der schwersten Wirtschaftskrise seit Ende des II. Weltkriegs steht das Insolvenzgeschehen in Tirol nahezu still. Der reguläre Wirtschaftskreislauf, der auch ein Scheitern von schwachen Betrieben und deren Ausscheiden aus dem Markt vorsieht, ist komplett aus den Fugen geraten. Die Ursachen für dieses Versagen von bisher etablierten wirtschaftlichen Mechanismen liegen in den Eingriffen der öffentlichen Hand, etwa durch direkte Unterstützungszahlungen an die Unternehmen oder durch die Stundung von öffentlich-rechtlichen Abgaben über Monate hinweg. Die daraus resultierende Konsequenz ist eine Wettbewerbsverzerrung, deren Ausmaß weiterhin nicht greifbar im Dunklen liegt. Die größte Gefahr dabei ist, dass gerade auch „gesunde Firmen“ ins Verderben (mit-)gezogen werden.

38 Gastro- bzw. Hotelbetriebe insolvent
Tirol verzeichnet mit einem Minus von 49,8 Prozent im Vergleich zu Gesamtösterreich (- 39,9 Prozent) gemeinsam mit Oberösterreich den stärksten Rückgang bei den Insolvenzzahlen. Diese Entwicklung ist paradox, da in Tirol die von der Pandemie besonders hart getroffene Tourismusbranche im Vergleich zu anderen Bundesländern stark ausgeprägt ist. Trotz des Rückgangs der Gästezahlen gab es im vergangenen Jahr in Tirol weniger Pleiten von Gastronomie- und Hotelleriebetrieben. Schlitterten 2019 noch 71 Unternehmen in die Insolvenz, waren es 2020 gerade einmal 38.

Bei einer detaillierten Analyse der jeweiligen Branchen sticht die Situation im Tiroler Baugewerbe besonders hervor. Wurden im Jahr 2019 noch 50 Tiroler Betriebe insolvent, schlitterten heuer lediglich 17 Unternehmen in die Pleite. Diese Art von Betrieben steht häufig bei öffentlich-rechtlichen Gläubigern in der Kreide und kann folglich von Steuer- und Beitragsstundungen kurzfristig mehr profitieren, als andere Branchen. Weiters war der Baubereich von den negativen Auswirkungen der Corona-Krise im Vergleich zu anderen Sektoren (etwa dem Handel, der mit einer Zwangsschließung der Geschäfte über Wochen konfrontiert war) weit weniger betroffen.

Bereits in den letzten Jahren lag die Zahl der Insolvenzverfahren in Tirol auf einem sehr niedrigen Niveau. 2019 kam es erstmals seit Jahren wieder zu einem spürbaren Anstieg der Unternehmenspleiten. Es wurde Ende 2019 allgemein erwartet, dass die Talsohle des Jahres 2018 durchschritten wurde. Diese Erwartung aus dem letzten Jahr wurde nicht erfüllt und die bereits sehr niedrigen Zahlen aus 2018 wurden nochmals deutlich unterschritten.

Der KSV1870 weist seit Monaten darauf hin, dass ins Straucheln geratene Unternehmen frühzeitig eine Sanierung angehen sollten. Klaus Schaller, KSV1870-Leiter der Region West, berichtet: „Nicht wenige Unternehmer verkennen im Moment ihre wahre wirtschaftliche Situation. Trotz einer aufgrund der Unterstützungszahlungen aktuell vielleicht noch positiven Liquiditätssituation im Betrieb, laufen im Hintergrund enorme Rückstände an öffentlich-rechtlichen Abgaben auf. Diese Beiträge wurden durch den Gesetzgeber gestundet und nicht erlassen. Somit ist klar, dass nach Auslaufen der Stundungen von den Betrieben die laufenden öffentlich-rechtlichen Abgaben bezahlt werden müssen. Gleichzeitig sind – wenn auch in Raten erfolgende – Tilgungen der aufgelaufenen Steuer- und Sozialversicherungsrückstände zu leisten. Es gibt keine Zweifel darüber, dass Unternehmen, die heute für diese Situation keine entsprechende Vorsorge treffen, mit massiven Problemen in naher Zukunft konfrontiert sein werden.“

Der KSV1870 erwartet deswegen nach Wegfall der betreffenden Stundungen ein deutliches Anziehen der Insolvenzzahlen in Tirol. Es wird aufgrund der nicht stattgefundenen Pleiten im Jahr 2020 zu einem Nachzieheffekt ab Jahresmitte 2021 kommen.

Bild: Österreich verzeichnet einen Rückgang von 40 Prozent an Firmenpleiten, Tirol sogar 49,8 Prozent. Grafik: KSV 1870

 
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