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Kitzbüheler Anzeiger
02.04.2017
News  
 

„Liebe ist eine tägliche Übung“

In seinem vielleicht wichtigsten Buch „Die Kunst des Liebens“ brachte der 1980 verstorbene Psychoanalytiker Erich Fromm die Liebe in all ihren Aspekten zur Diskussion. Einer seiner engsten Mitarbeiter, der deutsche Psychoanalytiker Rainer Funk, kommt am 7. April zu einem Vortrag über die Sichtweisen von Erich Fromm nach Kirchdorf. Warum Liebe eine Disziplin ist und warum viele Menschen das Lieben oft verlernt haben, hat er dem Kitzbüheler Anzeiger vorab erzählt.

Im Vortrag geht es um eines  der berühmtesten Bücher von Erich Fromm „Die Kunst des Liebens“. Warum ist Lieben eine Kunst?
​Zu Lieben ist eine Fähigkeit des Menschen, die uns als Möglichkeit in die Wiege gelegt wurde. Um sie wirklich als eine Kraft nutzen zu können, mit der wir unser Leben und die Beziehung zu anderen und zu uns selbst gestalten, gibt es zwei Voraussetzungen.
Erstens entwickelt sich diese Fähigkeit im Leben eines Menschen nur, wenn ​die Beziehungssignale von Kindern von liebenden Bezugspersonen gesehen, geschätzt und gefördert werden. Kinder und Jugendliche, die die Erfahrung machen, nur lästig oder enttäuschend zu sein oder überhaupt nicht den Erwartungen der anderen entsprechen zu können, werden daran gehindert, ihre angeborene Liebesfähigkeit zu entwickeln.
Die zweite Voraussetzung aber ist, und darauf nimmt der Titel des Buches von Fromm Bezug, dass die Fähigkeit zu lieben sich nur entwickelt und erhalten bleibt, wenn sie praktiziert wird. Dieses Schicksal teilt die Liebe mit anderen menschlichen Eigenkräften: ,Use it or loose it‘ sagen die Neurobiologen – nur wenn die Fähigkeit zu vertrauen und zu lieben, sich kraftvoll zu bewegen, sich Dinge merken zu können usw. geübt wird, werden sie und sind sie Eigenschaften und Eigenkräfte. Werden sie nicht geübt, verkümmern sie.

Haben viele Menschen das richtige Lieben verlernt?
​Die Frage geht davon aus, dass es ein richtiges und ein falsches Lieben gibt. Sicher stimmt, dass Menschen unter Liebe alles Mögliche verstehen und im Namen der Liebe andere Menschen vereinnahmt oder gequält, benützt oder umerzogen werden. Auch in der Partnerliebe ​gibt es viele falschen Verständnisse von Liebe. Oft glaubt man, dass zu lieben nur möglich ist, wenn der oder die andere den ersten Schritt zur Liebe tut.
Auch wird das ‚richtige Lieben‘ oft dadurch verlernt, dass man darauf beharrt, der oder die andere müsste sich erst ändern. Tatsächlich aber ist Liebe immer etwas Aktives, das von einem selbst ausgeht und nicht von etwas Liebenswertem abhängt.

Wie viel hat die Fähigkeit zu ​lieben mit Selbstliebe zu tun?
​Ganz viel! Es ist ein großer Irrtum, dass man jemand anderen nur lieben könne auf Kosten der Liebe zu sich selbst. Nächstenliebe und Selbstliebe sind für Erich Fromm immer korrespondierende Größen: Je mehr ich mich lieben kann, desto fähiger bin ich, den ​anderen zu lieben, und umgekehrt.
Allerdings muss klar sein, dass mit Selbstliebe nicht Selbstsucht und Narzissmus gemeint sind, bei denen es immer nur um einen selbst geht. Narzissmus und Liebe schließen sich tatsächlich aus, denn wer – aus welcher Not auch immer – nur sich kennt, ist so mit sich selbst beschäftigt, dass er den Anderen in seinem Anderssein kaum suchen und wertschätzen kann und also auch keine Empathie spüren kann.

Erich Fromm schreibt, dass die Kunst des Liebens vor allem Disziplin erfordert – warum?
​Wir verbinden mit dem Wort Disziplin meist etwas Selbstbeherrschtes, bei dem man gegen sich selbst​ oder gegen seinen inneren Schweinehund hart vorgehen muss. Solches ist nicht gemeint, schon deshalb nicht, weil die Liebe von anderen immer die Fähigkeit voraussetzt, sich selbst akzeptieren und lieben zu können. Zu lieben setzt voraus, dass man etwas oder jemanden wertschätzen und mögen kann, ihm ganz nahe sein kann oder mit ihm eins sein möchte, ohne dass der oder die andere in ihrem bzw. seinem Eigensein zu kurz kommt oder man das Eigensein des anderen mit einer rosaroten Brille ausblendet.
Disziplin meint in diesem Zusammenhang, trotz aller Enttäuschungen und Fehlschläge an sich zu arbeiten, um eigene blinde Flecken und Fehleinschätzungen, aber auch selbstsüchtige Strebungen zu erkennen und zu überwinden.

Welchen Rat können Sie Menschen geben, die von der Liebe immer wieder enttäuscht wurden?
​Gerade wenn jemand wiederholt die Erfahrung macht, immer an den falschen Menschen zu geraten, oder dass sich der oder die Geliebte als nicht liebenswert entpuppt, liegt es nahe, die ‚Schuld‘ für das Versagen der Liebe statt bei sich beim Gegenüber zu suchen –das mag unter Umständen auch stimmen. Die Frage ist dennoch, welche, meist unbekannte Strebung in einem selbst, einen auf einen Menschen fliegen lässt, der dann enttäuschend ist. In solchen Fällen sollte man sich von Paarberatern und Paartherapeuten helfen lassen, den eigenen Anteil am Missglücken einer Beziehung aufzuspüren.

Und wenn ich die Liebe gefunden habe? Wie kann ich sie festhalten?
​Leider gar nicht! Denn wenn Sie die Liebe festhalten wollen, dann geht Ihnen ziemlich sicher die Fähigkeit zu lieben verloren. Wenn das Liebesleben zur reinen Routine wird, wird sie leblos. Die Liebe ist ein Kind der Freiheit und deshalb ein oft auch mühsamer ​Prozess, sozusagen ein ‚work in progress‘, mit dem man nie fertig ist. Deshalb gehören ​auch ​Erfahrungen von Beziehungsschwierigkeiten ​zur Kunst des Liebens. Sie sind ebenso wie ein Frühlingserwachen ein Zeichen dafür, dass Liebe nichts ist, was man ein für allemal hat, sondern eine tägliche Übung voller Überraschungen.
Johanna Monitzer

 
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