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Kitzbüheler Anzeiger
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14.07.2020
News  
 

Kitzbüheler Heimatblätter

Zwei geflohene niederländische Offiziere bereiteten mit einem Landsmann in Kitzbühel die Flucht über die Sarotlascharte (2398 m) im Rätikon vor.

Es begann Anfang 1945. Ich bummelte mit den Skiern durch das tiefwinterliche Kitzbühel. Und als ob es sein müsste, lief ich zwei baumlangen Kerlen buchstäblich in die Hände. Es waren geflohene kriegsgefangene niederländische Offiziere mit umfangreichen, aber gefälschten deutschen „Papieren“, die den Auftrag hatten, sich so rasch wie möglich in die Schweiz abzusetzen. Sie baten um meine Hilfe, die ich im Wissen um die Gefährlichkeit des Unternehmens zusagte.
Der Schlachtplan wurde noch am gleichen Abend erstellt. Ich sollte den geeigneten Grenz- übergang in einer Scharte im Silvretta auskundschaften.

Intensives Skitraining in Kitzbühel
Doch war für das Unternehmen vorerst ein energisches Skitraining notwendig. Auch sorgte ich für mehrere gut versteckte Unterkunftsmöglichkeiten, um bei Gefahr schnell den Standort wechseln zu können. Ich besaß bereits von einer Filmgesellschaft ein gestohlenes und mit Stempel versehenes Geschäftspapier, um Reisen zu ermöglichen.
Tag für Tag und Nacht für Nacht trainierte ich mit den beiden Schützlingen, unerfahrenen Tourenläufern. Ich machte mit ihnen hauptsächlich lange, steile Anstiege in der Nacht, weil ich davon ausging, dass sie bis zur schweizerischen Grenze eine große Steigung zurücklegen mussten. Einige notwendige Rasttage der ungewöhnlichen Skischüler nützte ich mit den gefälschten Papieren für eine „Film-Motivsuche“ zuerst im „Reservegebiet“ Nauders.

Ohne Grenzzonenaufenthaltsgenehmigung
 Eine „Grenzzonenaufenthaltsgenehmigung“ hatte ich nicht dabei, als ich von der Grenzpolizei angehalten wurde. Die anderen Papiere wurden akzeptiert, aber die holländische Staatsbürgerschaft angezweifelt. Ich sollte über Nacht im kalten Keller eingesperrt bleiben und am nächsten Tag mit dem Autobus abreisen. Ein freundlicher Grenzsoldat hatte Einsehen und ließ mich in der geheizten Wachstube übernachten, wo ich allerhand Wissenswertes mitbekam.
Am nächsten Morgen machte ich mich aus dem Staube und fuhr zur ursprünglich vorgesehenen Grenzstelle. Hier hatte ich mehr Glück, konnte die Unterkunftsfrage erledigen, erfuhr, dass die in Aussicht genommene Scharte zwar unbesetzt, die alpinen Schwierigkeiten jedoch erheblich seien. Mein Entschluss stand fest, es sollte bei dieser Scharte bleiben.

Vom Montafon nach Graubünden
Dies teilte ich bei meiner Rückkehr den beiden Offizieren mit, sie waren einverstanden. Nach einem weiteren kurzen Training verließen wir wohlvorbereitet Kitzbühel. Beim Landrat in Bludenz versuchten wir eine Grenzzonenaufenthaltsgenehmigung zu erhalten, aber der Versuch wurde uns beinahe zum Verhängnis. Wir gerieten in die Hände der Gestapo und wurden gehörig ins Kreuzverhör genommen. Uns drei waren sie jedoch nicht gewachsen. Aber als wir zur Weiterfahrt nach Schruns am Bahnhof die Fahrkarten lösen wollten, standen plötzlich zwei Männer mit „deutschem Blick“, wie meine Begleiter sagten, vor uns, die ich mit einem Trick zu beruhigen vermochte.
In Schruns konnten wir nicht gleich losziehen, Föhn und damit erhöhte Lawinengefahr hinderten uns daran.

Nervenaufreibendes Warten
Es verging eine nervenaufreibende Zeit, denn es lief viel Landpolizei herum. Wir sahen öfters Grenzwachen mit vielen gefangen genommenen Leuten aller Art, die versucht hatten, über die Grenze zu kommen. Endlich änderte sich das Wetter, wir konnten ausrücken. Es hatte sich ein weiterer Landsmann angeschlossen.
Am Ostersamstag zogen wir frühmorgens los, als ob wir zum Skifahren wollten. Am Nachmittag erreichten wir ein Bauernhaus in der Nähe von Gargellen und nisteten uns bis zur nächtlichen Stunde ein. Wir wussten, dass die Bauernleute auf unserer Seite standen, hielten aber doch ständig Ausschau. Die Stunden schlichen langsam bis zur Unerträglichkeit dahin. Dann schickten wir einen Einheimischen auf Kontrolle. Er gehört zu jenen Unerschrockenen, die uns wertvolle Dienste erwiesen. Endlich meldete er: Könnt ’s gehen! Nach sechs Wochen war es so weit. Wortlos begaben wir uns auf den Weg in die Freiheit. Unheimliche Stille lag über der schlafenden Bergwelt.

Gefährlicher nächtlicher Aufstieg
Nun begann der Kampf mit dem Schnee. Die Oberfläche war nach dem Föhn zu einer glasharten Decke zusammengefroren, die Felle griffen kaum. In der steilen Schlucht konnten wir nicht mit den Skiern gehen.
Wir mussten zu Fuß weiter, aber die Schneedecke hielt nicht, wir sanken bis über die Knie ein. Um an Höhe zu gewinnen, waren kurze Serpentinen nötig, noch nie in meinem Leben war die Anstrengung eine so intensive gewesen. Dann folgten wieder steile Wände, dass man hätte Steigeisen tragen sollen. An den gefährlichsten Stellen musste ich jedem helfen, das kostete viel Zeit.
Ich fürchtete, dass wir erst im Morgengrauen auf die Scharte kämen und mir war bekannt, dass irgendwo eine 8,8 Flakbatterie stand, die auf uns feuern würde. Über das Plateau gingen manchmal Grenzpatrouillen, angeblich eine SS- Formation. Sie schossen bis weit auf die Schweizer Seite hinüber.
Es wurde Tag, als wir uns der Scharte näherten. Wie gut, dass wir in Tarnanzügen gingen.
Endlich betrat ich als erster die Scharte, gerade, als die Sonne ihr volles Licht auf uns warf. Ich mahnte zum Weitergehen, es war hier noch zu unheimlich. Meine Gefährten waren hundemüde, sie hatten die Skier längst nicht mehr bei sich. Ich konnte mich aber nicht von meinen Brettern trennen. Als wir genügend weit auf Schweizer Boden waren, rasteten wir in einer windgeschützten und sonnigen Mulde.

Friedensglocken zu Ostern
Plötzlich hörten wir hoch über uns eine deutsche Grenzpatrouille auf Skiern, die grobe Flüche hören ließ, als sie unsere Spur fanden. Als sie außer Sicht waren, begaben wir uns schleunigst ins Tal, den hilfreichen Schweizern entgegen. Gegen Mittag näherten wir uns dem kleinen Grenzort St. Antönien.  Während wir ins Berg-dorf einzogen, läuteten am Ostersonntag die Mittagsglocken. Für uns waren es die ersehnten Friedensglocken. Von Jan Boon, Schriftleitung: Hans Wirtenberger

Foto: Jan Boon arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als „Tiefenbrunnerknecht“. 
Der letzte Aufstieg zur Sarotlascharte.
Fluchtroute von Vorarlberg in die Schweiz – von Gargellen über die Sarotlascharte. Fotos: Jan Boon, Stadtarchiv Kitzbühel

 
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