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Kitzbüheler Anzeiger
20.04.2016
News  
 

(K)eine Schule für alle Kinder?

Die Sonderschulen in St. Johann und Hopfgarten gibt es nach wie vor. Geht es nach der Bundesregierung, sollen aber möglichst alle Kinder zusammen unterrichtet werden. Betroffene Eltern setzen sich für eine Beibehaltung der Wahlfreiheit ein. Es herrscht Verunsicherung.

St. Johann, Hopfgarten | In den Sonderschulen, die in den Sonderpädagogischen Zentren in St. Johann und Hopfgarten integriert sind, werden Kinder mit Beeinträchtigungen unterrichtet und für das alltägliche Leben fit gemacht. Wie lange das noch so sein wird, steht offen. Der neue Anstoß in der Bildungspolitik heißt „Inklusion bzw. inklusives Schulsystem“ – d.h. behinderte Kinder sollen in die Regelschulen eingegliedert werden. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis zum Jahr 2020 die Sonderschulen österreichweit zur Ausnahme gehören.  

73 Prozent entscheiden sich für Regelschule

Schon jetzt entscheidet sich der Großteil der Eltern dafür, ihr Kind in eine Regelschule zu schicken, wie die zuständige Landesrätin Beate Palfrader gegenüber dem Kitzbüheler Anzeiger aufzeigt. „73 Prozent aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bezirk werden bereits integrativ unterrichtet. Die Bildungsregion Kitzbühel zählt damit zu den Spitzenreitern im Bundesland“, berichtet Palfrader.

Schleichende Auflassung der Sonderschulen?

Diese Entwicklung sorgt bei vielen Eltern, die ein Kind in einer Sonderschule haben, für Bedenken. Eine schleichende Auflassung der Sonderschulen wird befürchtet. Barbara Salinger, Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom, ist froh, dass ihr Johannes seine Ausbildung in der Sonderschule in St. Johann genießen darf. „Die Schere zwischen unserem Sohn und den anderen Kindern wäre zu groß. Johannes wäre in einer Regelschule nicht zurechtgekommen“, ist sich Salinger sicher.

Dass eine Eingliederung von behinderten Kindern in eine Regelschule in allen Fällen möglich bzw. eine solche für das Kind das Beste ist, bezweifelt die Mutter. „Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder zuerst in eine Regelschule schicken und dann wechseln. Wenn ich mir die Entwicklung von Johannes und den Kindern, die gewechselt haben, anschaue, gibt es hier große Unterschiede“, so Salinger. Sie erzählt von Mobbing und Ausgrenzung an den Regelschulen und anderen Problemen, die auf die Kinder zukommen können. „Johannes hat richtige Freunde in der Sonderschule gefunden. Hier wird er nicht als Sonderling gesehen und auf seine Bedürfnisse wird individuell eingegangen“, erzählt Salinger. Ein großer Vorteil sei auch, dass die Kinder bis zum 18. Lebensjahr in der Sonderschule betreut werden.

„Die Wahlfreiheit muss erhalten bleiben“

Salinger und andere betroffene Eltern plädieren nun dafür, dass die Wahlfreiheit erhalten bleibt und die Eltern umfassend über die schulischen Möglichkeiten aufgeklärt werden. Auch sie und ihr Mann haben lange überlegt, ob sie ihr Kind nicht zuerst in eine Regelschule schicken und schauen sollen, ob es funktioniert. „Diese Entscheidung ist sehr schwer, aber es ist ganz wichtig, dass es eine Entscheidungsmöglichkeit für die Eltern gibt“, betont Salinger.

An dieser Entscheidungsmöglichkeit wird vorerst auch nicht gerüttelt, wie LRin Palfrader betont. „Die Wahlfreiheit ist gesetzlich verankert. Hier müsste der Bund das Gesetz ändern. Der Weg zu einem inklusiven Schulsystem in Tirol führt nicht über eine Auflösung von Schulen“, sagt die Landesrätin.

Die Vorteile einer inklusiven Schule

Palfrader verweist auf die Vorteile einer gemeinsamen Schule. „Fachlich lernen die Kinder genauso viel. Sozial profitieren sie durch einen Zugewinn an Kompetenz im Umgang miteinander. So können sich Kinder, die einen inklusiven Unterricht besuchen, besser in die Gefühlswelt der anderen hineinversetzen - wenn man Kindern, die anders sind, nicht selbst begegnet, kann man das nicht lernen“, so die Landesrätin.

Ein weiterer Grund, warum die Bundesregierung den Besuch einer Sonderschule nicht mehr forciert ist, dass sich Österreich 2008 mit der Unterzeichnung der UN-Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet hat, Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten.

Wie funktioniert inklusiver Unterricht?

In Inklusionsklassen wird im Team unterrichtet. „Inklusiver Unterricht ist durch drei Dinge gekennzeichnet: die Vielfalt der Kinder, die Vielfalt des Unterrichts und nicht zuletzt die Vielfalt der Pädagogen. Lehrpersonen bereiten den Unterricht gemeinsam vor und führen ihn auch gemeinsam mit dem Ziel durch, dass alle Kinder sich optimal entwickeln können und eine gute Bildung erhalten“, erklärt LRin Palfrader.

Barbara Salinger und viele andere betroffene Eltern stehen dem nach wie vor skeptisch gegenüber und hoffen, dass die Politik sich für die bestmögliche Förderung ihrer Kinder einsetzt. „Bis 2020 dauert es ja noch ein wenig, vielleicht finden die Politiker einen anderen Weg. Einen besseren Weg, um unsere Kinder zu fördern“, so Salinger.
Johanna Monitzer

Bild: Die Sonderschulen im Rahmen der Sonderpädagogischen Zentren oder Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik, wie sie seit 1.8.2014 offiziell heißen, bieten Unterricht für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf an. Bis 2020 sollen diese Sonderschulen österreichweit jedoch zur Ausnahme gehören. Foto: Peter Salinger

 
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