Kitzbüheler Anzeiger
09.06.2019
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Genetic Network – Suche nach dem ICH

Köln, Kitzbühel | Wer sind wir? Woher kommen wir? Und wohin werden wir gehen? Die junge Künstlerin Evamaria Schaller greift diese Fragen auf und begibt sich dabei auf eine interessante Spurensuche. Mit ihrem interkulturellen Kunstprojekt liefert sie überraschende Antworten und geht dabei über die Sozialen Netzwerke als Informationslieferant hinaus. Die Zeitkunstgalerie Kitzbühel zeigt derzeit in einer Ausstellung ihre Werke.

Die Performance-Künstlerin Evamaria Schaller (* 1980 in Graz) studierte Fotografie in Graz und an der FAMO Prag, bevor sie an der Multimedia-Schule in Salzburg und an der Kölner Medienschule ihre Ausbildung komplettierte. Ihre Kunst bewegt sich immer zwischen Performance und Inszenierung. Sie arbeitet ausschließlich ortsbezogen und mit Materialien, die sie vor Ort auffindet. Ihre Interventionen mit dem Raum sind surreal wirkende Grenzerfahrungen. Dabei geht es auch immer um eine Positionierung des eigenen Körpers in einem Umfeld und um die Definition des Ichs gegenüber dem Wir – der Gesellschaft.

Die Suche nach der eigenen Identität
Die Suche nach der eigenen Identität war für Schaller schon immer ein brennendes Thema. Diese Frage keineswegs neu, sie ist so alt wie die Menschheit selbst und sie ist eine ganz bewusste Konfrontation mit der eigenen Geschichte, mit dem eigenen familiären Netzwerk. Vor noch nicht allzu langer Zeit durchforsteten Forscher Familienarchive, Taufbücher, Friedhöfe oder Grundbücher, um den familiären Stammbaum über mehrere Generationen darzustellen. Ihre Motivation für diese Spurensuche ist verschieden begründet: Sei es aus reiner Neugierde über die familiäre Abstammung oder ein über Generationen tradierter Ahnenkult, der die Menschen dazu veranlasst, in der Vergangenheit zu recherchieren. In unserer jüngsten Geschichte – während des Zweiten Weltkrieges gab es allerdings auch ein äußerst abstoßendes Beispiel, als vom Hitler Regime verlangt wurde, sich als „Arier“ auszuweisen und einen Nachweis bis in die dritte und vierte Linie zu erbringen. Die Verehrung der Vorfahren hat in vielen Kulturen Tradition und sie war bis heute immer eine persönliche und ein Stück weit auch intime Angelegenheit.
Dem gegenüber stellt sich derzeit – ausgehend von den USA – ein neuer Hype unserer digitalen Welt, der nun auch bei uns immer mehr Einzug hält: Gentests zur Bestimmung der ethnischen Wurzeln. Die Auswertungen sind verblüffend und listen prozentual die einzelnen Ethnien auf. Sie präsentiert sich als eine Liste einer inneren genetischen Globalisierung.

Das Projekt „Native“
Schaller unterzog sich auf der Suche nach ihren Wurzeln einem solchen Gentest. Die Erkenntnisse dieses Versuches der Selbstfindung verarbeitet sie künstlerisch in ihrem Projekt „Native“. Sie entdeckt Vorfahren im Osten und Süden Europas, aber auch in den Weiten Afrikas und Asiens und begibt sich in weiteren Recherchen auf die Suche nach ihrer kulturellen Identität. Sie versucht, sich in jede einzelne Ethnie einzufühlen, studiert ihre Traditionen, Riten und Kulturen sowie deren Körperkult wie Narben, Bemalungen, Tätowierungen und Piercings, bezieht landestypische Pflanzen und die Natur mit ein und verwandelt sich in multiple Identitäten. Dabei gelingt es ihr, durch die Identifikation mit dem Fremden ein Stück weit ihrer eigenen Identität näherzukommen.

Warum verkaufen wir unsere Daten?
Auch thematisiert sie unterschwellig die kritische Frage nach der Identität und den Umgang mit diesem Wissen. Menschen geben ihre persönlichen Daten unreflektiert preis, um Antworten auf die Frage nach den genetischen Wurzeln zu bekommen. Warum verkaufen wir unsere persönlichen Daten an Firmen, wo wir  nicht wissen, was mit diesen Ergebnissen passiert und wofür sie herangezogen werden.
Warum überfordern wir uns mit den knallharten Fakten eines Laborbefunds, was in früheren Zeiten nach einer langsamen Suche sich dem Menschen Stück für Stück offenbarte? Für manchen vielleicht auch ein sehr ernüchternder Moment, wenn die Auswertung eine Verbundenheit mit einer Ethnie auflistet, mit der man sich gar nicht identifizieren will und kann.

Absurdität Rassenlehre
Schaller hebt mit ihrer Performance den Begriff der Rasse auf und führt die Rassenlehre in ihrer Absurdität regelrecht vor, denn welche Kriterien sind dafür entscheidend, um eine Zugehörigkeit zu einer Ethnie, zu einem Volk oder zu einem Staat zu definieren? Und was ist, wenn man keine Eindeutigkeit einer Eingliederung feststellen kann und somit auch der Begriff der persönlichen Heimat in eine Schieflage gerät?
Ist es nicht egal, ob unsere Vorfahren aus einer Provinz am Balkan oder aus Afrika kommen? Ist es im Grunde nicht gleichgültig, wie viele verschiedene ethnische Gruppen wir in uns vereint haben? Die Künstlerin thematisiert sehr anschaulich mit ihren kunstvollen Stils ein zeitaktuelles globales Thema. Gerade in den letzten Jahren wurde auf politischer Ebene intensiv über Begriffe wie Fremde, Freiheit, Migration und Völkerwanderung diskutiert. Die Essenz erscheint auf den zweiten Blick erschütternd und lässt sich mit den Worten von George Orwell trefflich beschreiben: „Alle sind gleich, und manche sind gleicher.“
Dabei zählt im Grunde nur eine einzige Erkenntnis: Wir alle sind einfach Mensch.

 
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