Geisterstunde im Gemeinderat
Während in Innsbruck die Gemeinderatssitzung medienöffentlich abgehalten wird, wurde in St. Johann die Presse ausgeschlossen. Die Rechtsmeinungen gehen auseinander.
St. Johann | Kein Zutritt für Pressevertreter – hieß es aus dem St. Johanner Gemeindeamt. Die erste Gemeinderatssitzung seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurde am Dienstag (nach Redaktionsschluss) aus Sicherheitsgründen in den Kaisersaal verlegt. „Wir würden die Pressevertreter gerne zulassen, nur ist es vom Gesetz her derzeit nicht erlaubt“, erklärte Bürgermeister Hubert Almberger (VP).
In der letzten Landtagssitzung wurde die Tiroler Gemeindeordnung bis Ende 2020 dahingehend abgeändert, dass „die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, wenn aufgrund von behördlichen Maßnahmen, die zur Verhinderung der Verbreiterung einer Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegenden Krankheit getroffen werden, die Bewegungsfreiheit und die zwischenmenschlichen Kontakte eingeschränkt sind“ (Art. 3, Abs 3, §36).
Grüne: „Das darf nicht sein“
Mit „Öffentlichkeit“ sind auch Journalisten gemeint, was eine massive Einschränkung der Pressefreiheit bedeuten würde – oder doch nicht? Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi (Grüne) sieht die Sache anders und lässt Pressevertreter zu. Das ginge auch in St. Johann, ist der Grüne Gemeinderat Andreas Schramböck überzeugt: „Nachdem die Sitzung in St. Johann weder per Audio, noch per Video übertragen wird, ist der Ausschluss der Presse demokratiepolitisch ein Wahnsinn. Auf das zielte die Änderung der Gemeindeordnung nicht ab.“ Schramböck holte sich eine Rechtsauskunft ein, die besagt, dass es sich um eine „kann“ Bestimmung mit gewissem Spielraum für die Bürgermeister handelt. „Einer rechtlichen Überprüfung würde ein Ausschluss der Presse niemals standhalten“, ist sich Schramböck sicher.
SPÖ/Liste SOLI: „Pressefreiheit nicht verletzen“
Auch die SPÖ/Liste SOLI legte Beschwerde beim Bürgermeister ein und verweist auf die wichtige Wahrung der Pressefreiheit: „Aufgrund der Größe des vorgesehenen Sitzungsbereiches im Kaisersaal ist den von uns geschätzten Presseberichterstattern Zutritt zu gewähren“, forderte Gemeindevorständin Christl Bernhofer den Bürgermeister schriftlich auf.
Land Tirol: „Der Ausschluss ist rechtens“
Amtsleiter Ernst Hofer und Bürgermeister Almberger berufen sich auf das Land Tirol. Die Landes-Presseabteilung versicherte gegenüber dem Kitzbüheler Anzeiger, dass der Presse-Ausschluss rechtens sei – man beruft sich auf die Verkehrsbeschränkungen des Bundes. Welche Verkehrsbeschränkungen das sind und warum man denn in Innsbruck eine medienöffentliche Gemeinderatssitzung abhalten kann – darauf hatte man trotz mehrmaliger Nachfrage keine konkrete Antworten.
FPÖ: „Es gibt sonst schon genug Mauscheleien“
Der Kitzbüheler FPÖ-LA Alexander Gamper warnte vor der Änderung in der Tiroler Gemeindeordnung und stimmte, wie die Liste Fritz, dagegen. „Es gibt sonst schon genug Mauscheleien hinter den Gemeindetüren“, meint Gamper. Zudem glaubt er nicht, dass der Bund die Pressefreiheit einschränken möchte: „Es kann keine Verordnung diesbezüglich seitens des Bundes geben, denn im Art. 117 Abs. 4 B-VG sind die Sitzungen des Gemeinderates öffentlich.“
Liste Fritz: „Demokratie nicht verstanden“
LA Markus Sint von der Liste Fritz sagt dazu: „Öffentlichkeit ist ein Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie, erst Transparenz ermöglicht Kontrolle und Kritik. Wer Öffentlichkeit ausbremst, hat Demokratie nicht verstanden.“
Wie lange zumindest versucht wird, die Öffentlichkeit noch auszubremsen, ist offen – das Land macht dazu keine Angaben. Eine angeforderte Stellungnahme aus dem Büro des Landeshauptmannes blieb bis Redaktionsschluss aus. Die nächste wichtige Gemeinderatssitzung findet am 4. Mai in Kitzbühel statt. Johanna Monitzer
Foto: Geistergemeinderat: Die Öffentlichkeit und auch die Presse wurden in St. Johann von der Sitzung ausgeschlossen. Ob das rechtens ist? Foto: Monitzer
Aus meiner Sicht - Sie wissen nicht, was sie tun (?)
Was alles möglich ist, haben uns die letzten Wochen gezeigt. Freiheitsrechte wurden beängstigend schnell massiv beschränkt oder ganz ausgehebelt. Der Zweck heiligt die Mittel. Die Bevölkerung trug alle Corona-Maßnahmen mit, weil die Politik erklären konnte, warum die Einschränkungen notwendig sind.
Das Reservoir an Vertrauen kann aber schnell verbraucht sein, wenn Grundrechte, wie die Pressefreiheit, einer Willkür unterzogen werden. Die Politik bewegt sich auf einem sehr schmalen Grat, wenn unter dem Deckmantel „Corona“ die Presse von Gemeinderatssitzungen ausgeschlossen wird.
Man darf zwei Stunden beim Frisör sitzen oder am Bau Seite an Seite arbeiten, Journalisten dürfen aber nicht mit meterweitem Abstand über die politischen Entscheidungen im Ort berichten?
Nein, nicht mit uns, liebe Leser. Trotz „Verbot“ hat der Kitzbüheler Anzeiger versucht der Gemeinderatssitzung im St. Johanner Kaisersaal beizuwohnen. Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist die Sitzung bereits vorbei – ob sie mich aus dem Saal getragen haben, lesen Sie in der nächsten Ausgabe. Johanna Monitzer monitzer@kitzanzeiger.at