Kitzbüheler Anzeiger
31.01.2019
News  
 

Ein ganz Großer nimmt Abschied

Ein ganz Großer des alpinen Skisports hat sein Karriereende verkündet. Aksel Lund Svindal wird nach der Ski-WM in Åre seine aktive Laufbahn beenden. Im Interview erzählt er, welchen Stellenwert Kitzbühel für ihn hat und was ein Abfahrer auf dieser Strecke empfindet.

Herr Svindal, Sie haben alles gewonnen, was man gewinnen kann. Sie sind zweifacher Olympiasieger, fünffacher Weltmeister, zweimaliger Gesamt-Weltcup-Sieger und gelten als der begnadetste und perfekteste Skifahrer auf diesem Planeten. Nur der Sieg auf der legendären Hahnenkamm-Abfahrt, der „Streif“, fehlt.
Das nervt mich wirklich, dass ich dort noch nie einen Sieg einfahren konnte. Einmal dachte ich: „Junge, das war wirklich ein Höllenritt.“ Das dachte ich genau so lange, bis der Österreicher Hannes Reichelt kam. Der machte vor fünf Jahren dann die Fahrt seines Lebens.  
Sollte ich einmal Kinder haben, dann glaube ich nicht, dass sie mir deswegen eines Tages große Vorwürfe machen werden (grinst). Viel wichtiger ist für mich bei diesem Rennen, dass ich wieder in einem Stück im Ziel ankomme. Schließlich gibt es weltweit keine brutalere und härtere Abfahrt als die Streif.

Warum ist sie selbst bei den Rennfahrern so gefürchtet?
Ganz einfach, weil es dort ums blanke Überleben geht.  

Haben Sie Angst?
Vor der Streif hat jeder von uns Rennfahrern mächtig Res­pekt. Selbst der Schweizer Didier Cuche, der das Biest in Kitzbühel insgesamt fünf Mal bezwingen konnte. So Respekt, dass er eines Tages sagte: Ich will nicht mehr, traue mir das nicht mehr zu. Das sagt doch wirklich alles. Wir alle wissen: Der einzige Schwachpunkt, den es auf dieser Abfahrt gibt, ist unser Körper. Die Eispiste wird niemals nachgeben – unser Körper schon.

Hatten Sie schon immer Furcht vor der Strecke?
Ich kann mich noch gut erinnern. Es war im Herbst 2002 – oh Gott das ist jetzt fast 17 Jahre her – da teilten mir meine Trainer freudestrahlend mit, dass ich im Januar Kitzbühel fahren „dürfte“. Ich war alles andere als begeistert, ich dachte sofort: „Aksel, jetzt hast Du ein verdammt großes Problem.“

Was für ein Problem?
Bis dato bin ich im Weltcup nur Slalom und Riesenslalom gefahren, also die beiden „langsameren“ Ski-Disziplinen. Eine Abfahrt hingegen noch nie, geschweige denn so eine wie die Streif. Deshalb konnte ich ab dem Zeitpunkt an nichts Anderes mehr denken: nur noch an DIE Abfahrt. Und wenn ich an sie dachte, lief es mir eiskalt den Rücken runter.

Warum?
In dem Film über die Streif „One Hell of a Ride“ habe ich es schon mal erzählt: Wenn Sie sich für eine Sache motivieren müssen, vor der sie eigentlich richtig Angst haben, ist das eben nicht ganz so einfach. Es verging von meiner Nominierung im Herbst 2002 bis zum Rennen vier Monate später kein Tag an dem ich keine Angst hatte. Kein Tag.

Wie ist die Stimmung dann so im Starthaus?
Sie kommt einer Beerdigung gleich. Keiner spricht auch nur ein Wort. Um uns ein bisschen abzulenken, machen meine Spezl Kjetil Jansrud und Aleks Kilde bei anderen Rennen oft Quatsch. Wir foppen uns, machen wie kleine Jungen Blödsinn. Nicht in Kitzbühel. Jeder ist voll auf seine Fahrt fokussiert, jeder geht die Strecke im Kopf zig Mal durch, jeder ist bis in die Haarspitzen hochkonzentriert und voll angespannt. Wenn wir uns aus dem Starthaus katapultieren, weiß jeder: ein Fehler – und die Streif wirft Dich ab. Und ein Abwurf bedeutet dort in der Regel immer Krankenhaus. In Kitzbühel gehe ich mit zwei Gedanken an den Start. „Don‘t make a mistake!“ Also: mach nur keinen Fehler! Schon ein Fehler kann dich das Leben kosten.

Und der zweite Gedanke?
Vollgas! Von der ersten bis zur letzten Sekunde. Wenn ich das Ding vor 50.000 Zuschauern gewinnen will, muss ich voll ans Limit gehen. Und wenn es sein muss, eben auch darüber hinaus.

Warum sind die ersten Sekunden so anstrengend?
Der Start ist in etwa so als würden Sie mit einem Düsenjet vom Flugzeugträger starten. Nach dem Starthaus geht es mit Vollspeed senkrecht auf der Eis­piste auf die berühmte Mausefalle zu: ein 60 Meter weiter Sprung in einen 85 Prozent steilen Hang. Von null auf 100 km/h beschleunigen wir wie ein Porsche in nur fünf Sekunden. Ohne Turbo.

Was passiert, wenn Sie die ersten Sekunden überstanden haben?
Wenn man aus dem Steilhang rausfährt, fühlt man sich, als wäre man nach einem Vollwaschgang aus einer Waschmaschine ausgespuckt worden. Sammeln und Durchschnaufen ist angesagt, schließlich sind die Oberschenkel schon das erste Mal richtig blau. Dann geht es weiter: Brückenschuss, Gschöss, Alte Schneise, Seidlalmsprung, Lärchenschuss. Und erst dann kommt noch das große Finale.

Erst die Hausberg-Kante, ein Sprung ins nichts…
…und dann die Hölle auf Erden, die Traverse. Die 20 Kilo schweren Rennski haut es einem nur so um die Ohren, die Lunge bettelt verzweifelt nach Luft – gleichzeitig wird der Kopf wie beim Rodeo nur so hin- und her geschüttelt. Den haut es mir bei der Traverse immer so stark von links nach rechts, dass ich die Tore gar nicht mehr richtig erkenne.

Langsam. Sie sehen was nicht?
Die Tore. Wenn Sie die Strecke wie ich dutzende Male im Renntempo runtergefahren sind, dann wissen Sie ja, wo es ungefähr hingeht. Im Ernst: Ich habe die Ideallinie und die Strecke im Kopf, bildlich vor Augen. Sie können mich nachts wecken und mich auf einen bestimmten Punkt auf die Streif stellen, ich wüsste sofort genau wo ich bin, wie ich weiterfahren soll und wo meine Ideallinie liegt.
Das Gespräch führte Andreas Haslauer, Foto: Adelsberger

 
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