Kitzbüheler Anzeiger
23.08.2016
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Von der Gemeindepolitik enttäuscht

Familie Kelderman wollte ihr Haus für geflüchtete Menschen zur Verfügung stellen. Nun ist sie von der Politik enttäuscht und muss zudem noch mit Anfeindungen leben. Die Gemeindeführung hält an ihrer Entscheidung fest.

St. Ulrich | Wie berichtet, werden in St. Ulrich keine geflüchteten Menschen ein neues Zuhause auf Zeit finden. Familie Kelderman, die ihre Ferienappartements als Unterkunft zur Verfügung stellen wollte, wandte sich jetzt an den Kitzbüheler Anzeiger. Sie ist enttäuscht von der politischen Vorgehensweise. „Wir hatten davon gehört, dass in St. Ulrich schon lange nach Unterkünften gesucht wurde. Wir wollten eigentlich nur helfen und die Menschen bei uns im Haus unterbringen“, erzählt Wout Kelderman. Die Familie fragt sich, wie es sein kann, dass eine geeignete Privatunterkunft abgelehnt wird, obwohl die Gemeinde, die vom Bund vorgeschriebene Aufnahmequote nicht erfüllt und im Land nach wie vor nach Unterkünften gesucht wird?

Das Haus wurde als „sehr geeignet“ befunden

Bevor das Vorhaben an die Öffentlichkeit getragen wurde, gab es seit Anfang Mai positive Gespräche zwischen der Familie Kelderman, den Tiroler Sozialen Diensten (TSD), die Flüchtlingsunterbringung im Land koordiniert, BH Michael Berger und Bürgermeisterin Brigitte Lackner. Die TSD befand das Haus als „sehr gut geeignet“. Die Ferienappartements von Familie Kelderman bieten Platz für 25 Asylwerber – damit hätte St. Ulrich die vom Bund vorgeschriebene Aufnahmequote von 1,5 Prozent der Wohnbevölkerung erfüllt und für die Familie wäre eine Vermietung in dieser Größenordnung wirtschaftlich vertretbar gewesen.  „Reich wird man, auch wenn das viele meinen, von einer Asylunterkunft nicht. Bei uns spielen hier aber vor allem emotionale Gründe mit. Meine Frau hat in ihrer Jugend die Grauen des Krieges selbst erlebt“, erklärt Kelderman.

Nicht an die Vereinbarung gehalten

Zusammen mit der Bürgermeisterin wurde in einer finalen Besprechung am 13. Mai die weitere Vorgehensweise festgelegt. Wie das dem Kitzbüheler Anzeiger vorliegende Besprechungsprotokoll zeigt, wurde vereinbart, dass zuerst der Gemeinderat sich einig werden soll und erst dann im Anschluss das Vorhaben in die Bevölkerung getragen werden soll. „Der Gemeinderat beschließt die Aufnahme von Asylwerbern als gemeinsame Lösung und trägt dies auch so in die Bevölkerung“, heißt es weiter im Protokoll wortwörtlich.

„Die Bürgermeisterin hat sich nicht an die Absprache gehalten und alle Nachbarn, bevor sich der Gemeinderat einig war, informiert. Außerdem äußerte sie uns gegenüber nie Bedenken darüber, dass die Unterkunft nicht zustande kommen könnte“, erzählt Kelderman. Deshalb gab die Familie ihre Appartements auch nicht mehr zur Vermietung für Feriengäste frei.

Am 7. Juni wurde zur Verwunderung von Familie Kelderman zu einer Informationsveranstaltung für die Bevölkerung geladen, die sehr emotional ablief - der Kitzbüheler Anzeiger berichtete. Dabei wurde schnell klar, dass die Asylwerber in St. Ulrich nicht mit offenen Armen empfangen werden. „Bei einer Vorabbesprechung im Gemeinderat wurde uns bewusst, dass wir die Bevölkerung sofort einbinden müssen. Ich stehe für eine offene Politik“, nimmt Lackner dazu Stellung.

Gemeinderat wollte 16 Menschen auf „Probe“

Erst rund zwei Wochen nach besagter Informationsveranstaltung folgte dann der alles entscheidende Beschluss im Gemeinderat. Auf Vorschlag von Bürgermeisterin Lackner, stimmten die Mandatare zu (11:2), dass vorerst maximal 16 Menschen für drei Monate auf Probe in die Appartements der Keldermans einziehen sollen und wenn „alles gut läuft“ die Anzahl auf 25 Menschen aufgestockt wird.

Für Familie Kelderman ist diese Entscheidung weder aus menschlicher noch aus wirtschaftlicher Sicht tragbar.  „Man kann doch keine Menschen auf Probe aufnehmen. Wir reden ja nicht von Tieren oder Gegenständen. Wenn uns die Bürgermeisterin das vorab vorgeschlagen oder am 13. Mai zur Sprache gebracht hätte, hätten wir gleich abgelehnt und es hätte überhaupt keine Aufregung in St. Ulrich gegeben“, versteht die Familie die Vorgehensweise der Gemeinde nicht.

Gemeindeführung suchte Kompromiss

Für Bürgermeisterin Lackner stellt die Entscheidung des Gemeinderates einen vernünftigen Kompromiss dar. „Wir müssen auf alle Bürger Rücksicht nehmen und wenn es gut funktioniert hätte, dann hätten wir auf 25 Menschen aufgestockt“, betont die Bürgermeisterin. Sie habe, so Lackner, für diesen Kompromiss auch sehr viel Zuspruch aus der Bevölkerung erfahren.

„Mit so viel Anfeindung nicht gerechnet“

Neben dem finanziellen Schaden muss Familie Kelderman nun mit Anfeindungen aus dem Ort umgehen lernen. „Mit so viel Anfeindungen hätten wir in St. Ulrich nie gerechnet. Wir werden noch immer täglich damit konfrontiert“, erzählt Kelderman. Mittlerweile haben die Keldermans zwar wieder Feriengäste im Haus, die emotionalen Wunden bleiben aber, wie die Familie betont.

St. Ulrich im holländischen TV

Die Familie Kelderman ist in ihrer ursprünglichen Heimat übrigens keine Unbekannte. Seit sie 2011 nach St. Ulrich auswanderten, werden sie im Rahmen der holländischen TV-Show „ik vertek“ (im deutschen TV: Die Auswanderer) begleitet. Vor Kurzem wurde gerade wieder eine Folge mit ihnen abgedreht, die am 6. Oktober im holländischen National TV ausgestrahlt wird. „Dem Fernsehteam haben wir natürlich auch davon erzählt, dass wir geflüchtete Menschen bei uns im Haus aufnehmen wollen“, so Kelderman und fügt an „die Entwicklung, die die Sache dann genommen hat, ist jetzt wahrscheinlich nicht mehr die beste Werbung für St. Ulrich.“ Johanna Monitzer 

 
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